„Modern, sportlich und dennoch zeitlos.“ Mit diesen Worten bewirbt Kia sein aktuelles Elektroauto-Flaggschiff, den Kia EV6. Neu vorgestellt wurde das Fahrzeug schon vor knapp einem Jahr, jetzt hatten wir die Möglichkeit, das E-Auto eine Woche lang auf die Probe zu stellen. Und zwar in der Ausstattungsvariante mit GT Line Paket, das in der von uns getesteten Variante unter anderem Allradantrieb und 77,4 kWh große Batterie beinhaltet. In der Basisausstattung steht dieses Modell mit 239 kW (325 PS) und einem Drehmoment von 605 Nm für knapp 59.000 Euro beim Händler. Das mag dem einen oder anderen viel erscheinen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass man mit dem EV6 richtig viel E-Auto vor die Haustür gestellt bekommt. Mehr als so manch ein Interessent vielleicht erwartet.
Großes Raumgefühl im Innenraum des Kia EV6
Wir nehmen Platz und fühlen uns sofort wohl. Denn beengt geht es im Innenraum des Kia EV6 wahrlich nicht zu. Dazu trägt auch der lange Radstand von 2,90 Metern bei. Mehr noch: Technologisch fortschrittlich präsentiert sich das Elektroauto des südkoreanischen Herstellers – auch hinsichtlich der Bedienung. Denn neben einem Display hinter dem Lenkrad ist auch das Infotainment-System (fast) vollständig über einen 12,3 Zoll großen Touchscreen digitalisiert. Druck- und Drehknöpfe gibt es kaum noch. Die Lautstärke des Radios lässt sich erfreulicherweise aber nicht nur über das Multifunktionslenkrad regeln, sondern auch über einen kleinen Drehknopf unter dem Touchscreen.
Während die digitalisierte Anzeige hinter dem Lenkrad alle wichtigen Informationen wie Geschwindigkeit, Reichweite, zulässige Höchstgeschwindigkeit und andere für den Fahrer wichtigen Daten anzeigt, dient das Infotainment-Display als Navigationssystem und DAB-Radio. Auch die Klimatisierung lässt sich hier den persönlichen Wünschen entsprechend einstellen. Eine 2-Zonen-Klimaautomatik ist grundsätzlich Teil der Serienausstattung des Kia EV6. Etwas überraschend: Apple CarPlay und Android Auto stehen nur über den USB-Anschluss zur Verfügung. In der Preisklasse, in der Kia mit dem EV6 für Aufsehen sorgen möchte, wäre die kabellose Variante deutlich ansprechender gewesen.
Bis zu 1.300 Liter Ladevolumen
Die Mittelkonsole neben dem Fahrer bietet nicht nur einen Start/Stopp-Knopf, sondern auch ein Drehrad, um den Vorwärts- und Rückwärtsgang einzulegen. Am oberen Ende lässt sich über Touchtasten die Sitzklimatisierung regulieren und die Lenkradheizung ein- und ausschalten. Direkt neben dem Fahrer ist ab dem Paket GT line auch eine induktive Ladestation in die Mittelkonsole integriert, die das kabellose Aufladen von kompatiblen Smartphones ermöglicht. Unter der Mittelkonsole findet sich zusätzlicher (schwer zu erreichender) Stauraum. Außerdem sind hier die USB-Anschlüsse zu finden.
Im Kofferraum, dessen Heckklappe sich auf Knopfdruck ab der von uns getesteten GT-line-Ausführung serienmäßig elektrisch hebt und senkt, finden 490 Liter Platz. Legt man die Rückbank um, sind es 1.300 Liter – bei der GT-Variante 40 Liter weniger. Im Motorraum ist außerdem noch ein kleines Staufach zu finden, das bei der von uns getesteten Allradvariante 20 Liter Volumen bietet. Bei den Fronttrieblern sind sogar 52 Liter im Front-Kofferraum (Frunk) zugänglich. Auch Passagiere, die in der zweiten Sitzreihe Platz nehmen dürfen, haben viel Platz. Sie müssen aber damit leben, dass die Füße wegen der im Unterboden integrierten Batterie recht hoch aufstehen. Das kann vorrangig auf längeren Fahrten unbequem sein, weil die Oberschenkel (abhängig von der Körpergröße) oft nicht im 90-Grad-Winkel der Rückbank aufliegen.
Die Reichweite: Kia EV6 ist langstreckentauglich – mit kleinen Einschränkungen
Soviel zum Interieur. Entscheidend ist aber noch mehr die Leistung auf der Straße. Also wagen wir uns an das Datenblatt. Darin ist zu lesen, dass der Kia EV6 AWD eine Reichweite von bis zu 528 Kilometern meistern kann. Dabei handelt es sich aber um eine durchschnittliche Messung nach WLTP-Norm, die neben Stadt- auch Überlandfahrten beinhaltet. In einer Woche rund 500 Kilometer im Stadtverkehr abzuspulen, war uns nicht möglich. Deswegen haben wir den EV6 auf die Langstrecke geschickt und waren überrascht, welch gute Figur er auf der Autobahn macht.
Bei gemäßigter Fahrweise rund um die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gleitet der EV6 mit einer angenehmen Laufruhe über die Straßen. Keine Windgeräusche sind zu vernehmen. Und unter dem Strich war es uns möglich, den 1,89 Meter breiten und knapp 4,70 Meter langen Stromer im Eco-Modus mit eingeschalteter Klimatisierung rund 375 Kilometer über die Autobahn zu scheuchen. Wer sich für den Normal- oder sogar für den Sport-Modus entscheidet, kann zwar von (deutlich!) spritzigeren Beschleunigungen profitieren, notwendig ist das aber eigentlich nicht. Denn auch im Eco-Modus ist es kein Problem, mit dem Allradler zu flotten Überholmanövern anzusetzen.
Klar ist aber auch: Wer schneller als 130 km/h fährt – in der Spitze haben wir 192 km/h geschafft, obwohl eigentlich bei 185 km/h Schluss sein soll – oder im Sportmodus häufig stark beschleunigt, treibt den Stromverbrauch kräftig in die Höhe. Der Bordcomputer zeigt dann recht schnell einen Stromverbrauch weit jenseits der Schwelle von 20 kWh pro 100 Kilometern an.
Ladeleistung im Winter eingeschränkt
In der Theorie ist ein höherer Verbrauch aber kein Problem. Denn weil der Kia EV6 wie der Porsche Taycan und der Hyundai IONIQ 5 mit 800-Volt-Ladetechnik ausgestattet ist, verspricht der Hersteller über den CCS-Anschluss des Wagens an HPC-Ladesäulen eine flotte Wiederaufladung der Batterie. Von 10 auf 80 Prozent der maximal möglichen Kapazität sollen nur rund 18 Minuten vergehen. Möglich machen es bis zu 240 kW Ladeleistung – die bei kühlen Außentemperaturen aber bei Weitem nicht erreicht werden. Wir konnten maximal mit 150 kW laden. Doch ein Software-Update soll im Laufe des zweiten Halbjahrs 2022 Besserung bringen, verspricht Kia.
Unabhängig davon: Elektroautos wie der EV6 sind in der Lage, auch auf der Langstrecke zu überzeugen. Und wer seine Reise richtig plant, sollte mit dem Aufladen auch keine Probleme haben. Denn nach 300 bis 400 Kilometern eine Pause einzulegen, ist für jeden Fahrer ohnehin zu empfehlen. Alles steht und fällt natürlich mit der passenden Ladeinfrastruktur. Entlang von Autobahnen findet man in der Regel aber immer eine passende DC– oder HPC-Schnellladesäule. Nicht nur auf den Parkplätzen von Raststätten, sondern immer häufiger auch an Autohöfen, Schnellrestaurants oder wie beispielsweise bei EnBW an großen Ladeparks etwa an Autobahnkreuzen. Wer an AC-Ladesäulen parkt, muss sich übrigens mit 11 kW Ladeleistung begnügen.
Fazit: Groß, gut, nicht so günstig
Unter dem Strich ist der Kia EV6 ein fast schon perfektes Elektroauto der Mittelklasse, das ausgestattet mit vier Rekuperationsstufen nicht nur im Stadtverkehr punkten kann, sondern auch auf der Langstrecke eine gute Figur macht. Wer stromsparend ohne Bleifuß unterwegs ist, kann das Auto bis zu 400 Kilometer ohne Stopp über die Autobahnen jagen. Und dank 800-Volt-Ladetechnik ist schnelles Wiederaufladen an DC- und HPC-Ladesäulen kein Problem. Länger als eine halbe Stunde muss man nicht stehen, um neue Energie für rund 300 Kilometer zusätzliche Reichweite nachzuladen. Bei kühlen Außentemperaturen sollte man aber mit einer reduzierten Ladeleistung rechnen.
Kehrseite der Medaille: Wer sich für den Kia EV6 entscheidet, bekommt zwar ein rundum spritziges Elektroauto mit einer direkt ansprechenden, angenehm sanften Lenkung, ein Schnäppchen ist der Stromer jedoch nicht (siehe unten). Fahrspaß ist trotz seines wuchtigen Exterieurs dennoch garantiert. Entspannt lässt sich im Eco-Modus über die Straßen gleiten und wer es so richtig dynamisch mag, wählt den Sportmodus und beschleunigt in Windeseile von 0 auf 50 km/h und weiter. Teilweise fühlt es sich im Sportmodus an, als säße man in einer Katapult-Achterbahn, so aggressiv presst die Beschleunigung alle Insassen in die Sitze. Das macht Laune und unterstreicht eindrucksvoll, dass Kia längst nicht mehr zu den biederen Billigheimern am Markt gehören möchte.
Vorteile
- 800-Volt-System für bis zu 240 kW Ladeleistung an HPC-Ladesäulen
- hoher Fahrkomfort
- bis zu 400 Kilometer Reichweite auf der Langstrecke
- drei Fahrmodi – von Eco bis Sport
- vier Rekuperationsstufen
- Geschwindigkeitsregelanlage in 1- und 10-km/h-Schritten steuerbar
- 7 Jahre Herstellergarantie (bis 150.000 Kilometer)
Nachteile
- maximale Ladeleistung bei kühler Außentemperatur nicht abrufbar
- nur 11 kW Ladeleistung an AC-Ladesäulen
- Apple CarPlay und Android Auto nicht kabellos nutzbar
- in der Anschaffung kein Schnäppchen
Was kostet der Kia EV6?
Der Kia EV6 ist in drei Basisvarianten erhältlich. Mit 125 kW (169 PS) und Heckantrieb sowie 58-kWh-Batterie werden 44.990 Euro fällig, mit 168 kW (229 PS) und 77,4-kWh-Batterie steigt der Preis auf 48.990 Euro. Wer sich für das Allradmodell mit 239 kW (325 PS) und 77,4-kWh-Batterie entscheidet, muss ohne Extras 52.890 Euro auf den Tisch legen.
Das von uns getestete Modell mit GT line Paket beinhaltet unter anderem einen aktiven Totwinkelassistenten mit Lenk- und Bremseingriff, einen Autobahnassistenten, einen Querverkehrwarner hinten inklusive Notbremsfunktion und Flush-Türgriffe, die während der Fahrt für eine bessere Aerodynamik in den Türen verschwinden. Grundsätzlich ausgestattet mit der größeren Batterie liegen die GT-line-Preise bei mindestens 54.990 Euro (229 PS / FWD) respektive 58.890 Euro (325 PS / AWD).
Als ultimatives Topmodell ist der Kia EV6 auch mit besonders sportlichem GT-Paket erhältlich. Der Allradantrieb ist dann in der Lage, eine Leistung von 430 kW (585 PS) bei einem Drehmoment von 740 Nm abzurufen. In der Spitze sind mit diesem Fahrzeug Geschwindigkeiten von bis zu 260 km/h möglich. Der Preis steigt dann aber auch auf stolze 65.990 Euro.
Statt auf 19-Zoll-Reifen ist das E-Auto in der GT-Ausführung auf 21-Zoll-Bereifung unterwegs. Als Fahrer hat man bei diesem Modell serienmäßig die Möglichkeit, einen Totwinkelassistenten mit Monitoranzeige hinter dem Lenkrad zu nutzen und fährt noch komfortabler mit einem übersichtlichen Head-up-Display über die Straßen. Auch eine Wärmepumpe ist beim GT-Modell Serie – bei allen anderen Modellen kostet dieses im Winter sehr nützliche Extra 1.000 Euro Aufpreis.
Nicht zu vergessen: Dank des aktuellen Umweltbonus kannst du den Preis für den EV6 abhängig vom gewählten Modell um 7.500 bis 9.000 Euro reduzieren.
PS: Kia EV6 zieht Blicke auf sich
Und noch etwas solltest du wissen, wenn der Kia EV6 dein Interesse geweckt haben sollte. Auf der Autobahn zieht insbesondere das wuchtige Heck mit dem bogenförmigen LED-Lichtband viele Blicke auf sich. Immer wieder kann man beobachten, wie in überholenden Fahrzeugen die Blicke von Passagieren auf dem Beifahrersitz oder in der zweiten Sitzreihe neugierig nach hinten gehen. Und auch wenn der EV6 an Ladesäuen geparkt ist, dauert es teilweise nicht lange, ehe neugierige Gestalten das Fahrzeug aus nächster Nähe ganz genau in Augenschein nehmen.
Ich habe die Berichte über die Ladeleistung und Reichweite des Apparats im Winter bei um die 0 Grad gelesen. Och nö, ich bleibe bei meinem V6.