Rundum digitale Brillen entstand in den vergangenen Jahren ein regelrechter Hype, der letztlich mit der Rift losgetreten wurde, einer VR-Brille des heute zu Meta gehörenden Herstellers Oculus. Im Anschluss wurden AR-Brillen als nächste große Sache ausgerufen. Vor allem Google wollte hier mit seinen Google Glasses punkten, der letztlich aber der große Durchbruch versagt blieb. Letzteres gilt auch für Microsofts Idee der Mixed Reality. Die stark an VR-Brillen erinnernden Systeme, die unter anderem von HP, Lenovo, Acer und Asus umgesetzt wurden, sollten Elemente der erweiterten in die virtuelle Realität bringen. Mittlerweile ist die Mixed-Reality-Unterstützung aus Windows 11 verschwunden. Nun versucht sich Lenovo an einer neuen Idee einer “Computer-Brille”. Die Legion Glasses sorgt dabei allerdings weder so richtig für AR noch für VR.
Sieht aus wie eine Sonnenbrille
Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass die Legion Glasses nichts mit einer VR-Brille zu tun hat. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine große Sonnenbrille, doch der auf der Nase relativ große Abstand zu den Augen deutet an, dass dem nicht so ist. Hinzu kommt, das Kabel, das am Ende des linken Brillenbügels nach außen tritt. Also alles Augmented Reality? Nicht so richtig.
Zweiter Bildschirm in Brillenform
Wird die Brille mithilfe des USB-C-Anschlusses mit einem PC oder Notebook verbunden, präsentiert sich dem Auge erstmal das Bild des Desktops. Je nach Einstellung wird dieser in die Brille übertragen oder auch als zweiter Bildschirm angezeigt. Und er lässt sich im Prinzip genauso nutzen. Mit Hilfe von Tastatur und Maus können die einzelnen Anwendungen wie gewohnt aufgerufen und gesteuert werden.
Mit der Legion Glasses möchte Lenovo die Nutzenden hinter dem Display hervorholen und ihnen eine größere Flexibilität ermöglichen. Dabei schweben dem Hersteller zuerst Szenarien im Unterhaltungsbereich vor, etwa das ungestörte Schauen von Serien und Filmen. Nicht umsonst wird die Brille als “Legion” bezeichnet, dem Label, das Lenovo für seine Gaming-Produkte nutzt.
Dazu wird die Legion Glasses mithilfe eines 1,55 m langen Kabels an ein System angeschlossen und soll so genügend Bewegungsfreiheit einräumen, um sich beispielsweise bequem auf der Couch oder im Lieblingssessel einzurichten und dem hemmungslosen Medien- oder Spielekonsum zu frönen.
Integrierte Lautsprecher in den Brillenbügeln
Die grundlegende Überlegung ist dabei verlockend. Die Brille schafft ungestörte Momente in Umgebungen mit einem großen Ablenkungspotential: Während auf dem Fernseher vor der heimischen Couch eine ungeliebte Schmonzette läuft, lassen sich ungestört Rambos Gewaltorgien verfolgen. Auch beim Gaming kann man auf diese Weise den Fokus schärfen, ohne dass spezielle (VR-)Spiele gespielt werden müssen. Dazu integriert Lenovo in den Brillenbügeln kleine Lautsprecher. Dank ihrer Positionierung über dem Ohr liefern sie einen durchaus brauchbaren Sound, der dazu beiträgt, dass der Brillentragende ein Stück weit aus der Welt rückt. Allerdings ist auch hier die Abschirmung begrenzt. Wer sich vollends in eine eigene Welt begeben will, schließt doch besser ein Noise-Cancelling-Headset an.
Full HD und unscharfe Ränder
Technisch basiert die Brille auf der Micro-Oled-Technologie, die für knackige Farben und gute Kontraste sorgt. Im Inneren der Brille wird jeweils eine Anzeige pro Auge bereitgestellt, die ihrerseits eine Auflösung von 1.920 x 1.080 Pixeln bieten. Sonderlich viel ist das mit Blick auf die präsentierten Bilder nicht. Unschärfen und Treppeneffekte bei Details werden sichtbar. Zu den Rändern hin bleiben die Bildschirme nicht mehr ganz gerade. Vermutlich deshalb schiebt Lenovo das projizierte Bild gefühlt weit weg von den Augen. Die mit der begrenzten Pixeldichte verbundenen Darstellungsschwächen würden ansonsten vermutlich noch offensichtlicher.
Und nicht nur darunter leidet die Immersion, also der Effekt des Eintauchens in eine virtuelle Realität: Der präsentierte Desktop wird von einem fetten schwarzen Rand eingerahmt, wobei die Unschärfe zum linken wie auch zum rechten Rand zunimmt. Das Ganze wirkt ein bisschen, als schaue man auf eine Leinwand im Kino.
Mäßige Abschirmung
Dank eines vergleichsweise niedrigen Gewichts von 96 g lässt es sich durchaus länger unter der Brille aushalten, theoretisch. Denn praktisch ist schon der Sitz auf den Ohren nicht optimal. Bei unterschiedlichen Versuchskandidaten ergab sich zunächst stets die gleiche Reaktion: Mit dem ersten Aufsetzen wanderte der Blick nach oben, denn das dem Auge präsentierte Bild wird zu weit oben angezeigt.
Hinzu kommt, dass die Apparatur auf der Nase vergleichsweise dick aufträgt. Der Abstand des Auges bis zum bildgebenden Element beträgt rund 3 cm, doch trotz der üppig ausgeführten Bügel bietet sich der Außenwelt immer noch recht viel Platz, um die Wirkmächtigkeit der Immersion in Grenzen zu halten. Eine bessere Abschirmung wäre an dieser Stelle wünschenswert, auch weil sich dadurch die Motion Sickness verringern ließe: Empfindliche Nutzende bekommen eine längere Nutzung durchaus zu spüren.
Mithilfe von zwei Tasten am linken Bügel lässt sich die Helligkeit des Bildschirms und damit auch die Transparenz verändern: Bei niedriger Helligkeit wird viel von außen zum Auge des Brillentragenden durchgelassen. Das funktioniert gut, helle Bereiche im Blickfeld außerhalb der Brille drängen sich aber auch hinterm Glas auf den Desktop.
Verbindungsprobleme mit Desktop-PCs
Die ersten Schwierigkeiten tauchen allerdings schon auf, wenn die Brille an einen Rechner angeschlossen werden soll. Dazu setzt der Hersteller auf einen USB-C-Stecker, der sich auf den Standard 3.2 sowie DisplayPort 1.2 versteht. Das funktioniert mit aktuellen Notebooks reibungslos, egal welches Betriebssystem genutzt wird: Weder unter Windows 11 noch unter macOS (Sonoma) oder gar unter Ubuntu Linux 23.10 traten im Test Probleme auf.
Deutlich größere Probleme macht dagegen die Verbindung zu klassischen Desktop-PCs: In diesen steckt oftmals eine dedizierte Grafikkarte, die über eigene Ausgänge für die bildgebenden Gerätschaften verfügt. Bei aktuellen Karten ist ein USB-C-Port jedoch nur in Ausnahmefällen zu finden. Es bleibt dann also nur die Hoffnung auf einen entsprechenden USB-Anschluss am Monitor. Allerdings werden diese – auch bei modernen Bildschirmen des oberen Leistungssegments – gern als reine Eingänge ausgelegt und die Nutzung der Brille damit ausgeschlossen.
Auch an den von uns getesteten Smartphones, unter anderem ein aktuelles Google Pixel 7a, konnten wir die Brille nicht nutzen.
Fazit zur Lenovo Legion Glasses
Lenovo ist in der Vergangenheit immer wieder mit Ideen auf den Markt geprescht, die nicht in jedem Fall vollends ausgereift waren. Und das gilt auch für die Legion Glasses. Die grundlegende Idee kann durchaus mit seiner Flexibilität in den heimischen vier Wänden oder auf Reisen überzeugen. Zumal der Hersteller auch an Lautsprecher gedacht hat, mit denen sich das Vergnügen beim Schauen von Filmen oder beim Spielen abrunden lässt – wenn man nicht gleich auf Noise-Chancelling-Hörer für die völlige Abschottung setzt.
Auch beim Spielen macht die Brille Spaß, sofern man nicht zu sehr unter der sogenannten Motion Sickness oder auch VR-Krankheit leidet. Fürs Arbeiten ist sie nicht mehr optimal, denn es gibt keine dedizierten Controller und um beim Schreiben die richtigen Buchstaben zu treffen, muss man im Zweifelsfall unter der Brille vorbeischauen. Immerhin lässt sich ein Controller als Maus nutzen. Schlussendlich sind die Einschränkungen noch zu groß, vor allem mit Blick auf den Verkaufspreis von 499 Euro.
Pro
- Ein Bildschirm zum Aufsetzen im Hosentaschenformat
- Angenehm leicht, guter Tragekomfort
- Integrierte Lautsprecher
Contra
- Begrenzte Bildqualität
- Keine echte Immersion
- Abschirmung der Außenwelt könnte besser sein
- Nicht an jedem Desktop-PC nutzbar
- Teuer