Wenn es um neue Elektroautos geht, fährt der japanische Hersteller Honda dem Wettbewerb bisher noch ziemlich hinterher. Nach dem in Europa nicht mehr erhältlichen Kleinwagen Honda e ist derzeit nur der Honda e:Ny1 zu haben. Und während der eine oder andere noch darüber nachdenkt, wie das Fabrikat wohl ausgesprochen werden mag – zu lesen ist unter anderem von "anyone", es handelt sich demnach um ein E-Auto für jedermann – haben wir schon dringesessen. Und das neue SUV-Crossover-Modell in einem umfangreichen Test auf die Probe gestellt. Mit am Ende gemischten Gefühlen.
Honda e:Ny1 im Test: Gemächlicher Stadt-SUV
Mit einer Leistung von 150 kW (204 PS) und einem maximalen Drehmonent von 310 Nm reißt der Honda e:Ny1 keine Bäume aus. Es gibt am Markt E-Autos im SUV-Segment, die deutlich performanter unterwegs sind. Für den Stadtverkehr, für den der Honda-Stromer primär entwickelt wurde, ist die gebotene Leistungsfähigkeit aber vollkommen ausreichend. Als Fahrer hat man die Wahl zwischen drei Fahrmodi (Eco / Normal / Sport), die ebenso wie die Gänge über Tasten an der Mittelkonsole einzulegen sind.
Entsprechend der eher gemächlichen Leistung ist es wenig überraschend, dass der Honda e:NY1 für einen Sprint von 0 auf 100 km/h nach Herstellerangaben 7,6 Sekunden benötigt. Auf einen bei so manchen E-Autos typischen "Punch" bei der Beschleunigung muss man bei diesem Elektroauto verzichten. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 160 km/h. Angenehm: die gut auf den Alltag abgestimmte Lenkung.
Überraschend ist aber, dass es dem E-Auto besonders bei nassen Straßen nicht so recht gelingen mag, die Kraftübertagung auf die Straße richtig zu dosieren. Mehrfach mussten wir durchdrehende Reifen registrieren; besonders wenn die Brake-Hold-Funktion ausgeschaltet war und nicht der in der Leistung beschränkte Eco-Modus zum Einsatz kam. Das Strompedal aus dem Stand zu heftig treten, nein, das mag der Honda e:Ny1 teilweise gar nicht.
Auf der Autobahn: Geräusche wie in einem Auto mit Verbrennungsmotor
Das Fahrgefühl ist im Honda e:NY1 weitgehend angenehm bis komfortabel. Jedoch rumpelt das E-Auto recht straff abgestimmt über Bodenwellen. Was zudem schade ist, sind die deutlich wahrnehmbaren Surrgeräusche, die bei Stadtfahrten auffallen. Und auf der Autobahn haben wir insbesondere zwischen 125 und 130 km/h ein Geräusch vernommen, das stark an den Sound eines klassischen Verbrennungsmotors erinnert. Zunächst hatten wir hier einen künstlichen Sound in Verdacht, der über die Boxen ausgespielt wird. Am Ende wird es aber auch hier der E-Motor sein, der für die akustische Untermalung beim Fahren verantwortlich ist.
Überrascht hat uns im Test außerdem die Bedienung der Schaltwippen hinter dem Lenkrad. Über sie lässt sich die Stärke der Rekuperation einstellen. Jedoch ist es immer nur vorübergehend möglich, die Stärke der Energierückgewinnung festzulegen. Nach kurzer Zeit springt die gewählte Einstellung zurück in den Segelmodus, in dem kaum eine Verzögerung zu spüren ist. Eine Möglichkeit, das zu ändern, gibt es nicht, wie uns Honda bestätigt hat. Es sei denn, man wählt den Sportmodus aus. Dann bleibt die gewählte Rekuperationsstufe bis zum nächsten Wechsel erhalten.
Im Innenraum geht es angenehm luftig zu
Zu gefallen weiß, was sich die Honda-Designer für das Interieur ausgedacht haben. Die durchgehende Mittelkonsole ist so tief angeordnet, dass die Knie nicht anstoßen. Auch Kopffreiheit ist mehr als ausreichend gegeben; gerade auch für große Menschen. Die Verarbeitungsqualität im Cockpit ist jedoch auf eher einfachem Niveau mit vielen Hartplastikelementen gehalten.
Die Sitze sind auch auf längeren Fahrten bequem, könnten in Kurven aber etwas mehr Seitenhalt bieten. Der Blick nach hinten ist vom Fahrersitz aus durch eine breite C-Säule und eine recht schmale Heckscheibe eingeschränkt. Eine Rückfahrkamera ist aber Teil der Serienausstattung.
Dass sich Honda für ein dreigeteiltes und 15,1 Zoll großes Center-Display in horizontaler Ausrichtung entschieden hat, ist eine gute Idee. Je nachdem, welche Inhalte angezeigt werden, wird es aber etwas unübersichtlich, weil zu viele Informationen auf einen Blick dargestellt werden. Standardmäßig findest du oben das Navigationssystem, mittig frei auswählbare Menüpunkte und unten die Einstellungen für die Klimaanlage. Hinter dem Lenkrad ist ein weiteres Display (10.2 Zoll) zu finden, das als digitale Instrumententafel alle für den Fahrer wichtigen Daten anzeigt. Die Ansicht ist individuell einstellbar.
Unerwartet gut ist das Platzangebot in der zweiten Sitzreihe. Auch große Menschen bis 1,95 Meter haben im Fond selbst dann noch richtig viel Platz, wenn Fahrer und Beifahrer mit ihren Sitzen weit nach hinten rücken. Für ein knapp 4,40 Meter langes und mit einem Radstand von knapp 2,61 Metern ausgestattetes Auto ist das keine Selbstverständlichkeit.
Nachteil des guten Platzangebots im Innenraum: Der Kofferraum ist weniger voluminös. Maximal 361 Liter Stauvolumen sind gegeben, ähnlich viel wie im Fiat 600 Elektro (Test) oder im Cupra Born (Test). Mit umgeklappten Rücksitzen steigt das Ladevolumen auf bis zu 1.176 Liter. Ein Unterboden gestattet das Verstauen eines Ladekabels und anderem Zubehör. Zusätzlichen Stauraum unter der Motorhaube (Frunk) gibt es im Honda e:Ny1 nicht.
Ordentliche Batteriegröße, (zu) hoher Verbrauch auf der Autobahn
Eine ordentliche Größe hat Honda der verbauten Lithium-Ionen-Batterie spendiert. Die Kapazität liegt bei knapp 69 kWh (netto nutzbar sind 62 kWh) und der Hersteller stellt eine WLTP-Reichweite von 412 Kilometern in Aussicht. Ein Wert, der gemittelt im Stadt- und Landstraßen-Verkehr vielleicht zu erreichen ist, aber keinesfalls auf der Autobahn.
Im Test haben wir dort nämlich unter weitgehender Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h durchschnittlich einen Strombedarf von 26,2 kWh pro 100 Kilometer dokumentiert. Und das trotz eines Leergewichts von nur rund 1,7 Tonnen. Ähnlich stromdurstig waren in der Vergangenheit unter anderem der Aiways U5 (Test) und der Volvo C40 (Test). Auch der Kia EV9 (Test) verbraucht ähnlich viel, ist als SUV für bis zu sieben Personen und einem Gewicht von mindestens 2,5 Tonnen aber in einer ganz anderen Klasse unterwegs.
Die Folge des hohen Verbrauchs: Auf der Autobahn lag die Reichweite bei herbstlichen Temperaturen im Rahmen unseres Tests bei nur 225 Kilometern. Das ist ziemlich enttäuschend. Nicht viel besser sieht es auf der Landstraße aus, wo der Test-Strombedarf bei durchschnittlich 22,6 kWh / 100 km lag. Umso erfreulicher ist es da, dass es in der Stadt nur durchschnittlich 15,4 kWh / 100 km waren. Deutlich weniger als etwa der Volvo EX30 (Test) oder auch der Volkswagen ID.4 Pro (Test).
Maue Ladeleistung
Nun könnte man argumentieren, dass eine geringe Autobahn-Reichweite ja mit einer flotten Ladeleistung auszugleichen ist. Doch an dieser Stelle leistet sich der Honda e:Ny1 leider den nächsten Fauxpas. Denn an einer Schnellladesäule (DC / HPC) stellt der Hersteller unter optimalen Bedingungen maximal 78 kW Ladeleistung in Aussicht. Das ist unterdurchschnittlich. Und wir haben das Maximum im Test auch nicht abrufen können. Maximal 73 kW waren stattdessen an der Ladesäule abzulesen.
Die Folge: Eine Aufladung von 20 auf 80 Prozent der maximal möglichen Batteriekapazität dauerte in zwei von uns dokumentierten Versuchen rund 40 Minuten. An einer AC-Ladesäule oder über die Wallbox zu Hause sind per Wechselstrom maximal 11 kW Ladeleistung drin. Der CCS2-Ladeanschluss ist an der Fahrzeugfront zwischen Motorhaube und Kennzeichen zu finden. An manchen Ladesäulen ist es so nicht notwendig, zunächst rückwärts auf der passenden Parkfläche einzuparken.
Teilweise kann es aber auch vorkommen, dass man etwas nach vorn oder hinten versetzt an einer Ladesäule parken muss, weil das Ladekabel der Ladesäule sonst nicht lang genug ist. Geöffnet wird die Abdeckung auf Knopfdruck im Innenraum oder über den Smart Key.
Was kostet der Honda e:Ny1?
Angeboten wird der Honda e:Ny1 derzeit in zwei Varianten. Als Basisversion und als e:Ny1 Advance Paket. Dann kannst du dich unter anderem über hübsche Extras wie eine elektrische, sensorgesteuerte Heckklappe, ein Panorama-Glasdach und ein Multi-View-Kamerasystem mit 360-Grad-Sicht freuen. Während die Basisvariante ab 38.990 Euro zur Verfügung steht, sind es für das Advance-Modell mindestens 41.990 Euro.
Der Preis kann aber steigen, wenn du dich zum Beispiel für eine andere Lackierung als Crystal Black Pearl (Schwarz) entscheidest. Bis zu 1.100 Euro sind für eine der vier optionalen Farben zusätzlich zu zahlen. Auch andere Räder als die 18-Zoll-Leichtmetallfelgen sind mit bis zu 1.400 Euro Aufpreis verbunden. Eine Wärmepumpe ist nicht erhältlich. Nicht einmal gegen Aufpreis. Das sorgt besonders im Winter für eine geringere Reichweite.
Grundsätzlicher Teil der Serienausstattung sind eine Einparkhilfe vorn und hinten, sechs Lautsprecher und eine 2-Zonen-Klimaautomatik. Ebenso eine Ambientebeleuchtung in Blau und eine Privacy-Verglasung, also abgedunkelte Scheiben hinten. Auch eine kabellose Ladestation für das Smartphone ist immer mit an Bord. Gleiches gilt für Apple CarPlay und Android Auto in der kabellosen Variante.
Fazit zum Honda e:NY1: Gut gedacht, nicht konsequent gut gemacht
Zwei Wochen waren wir mit dem Honda e:Ny1 im Münsterland unterwegs. Und zwiegespaltener könnte unser Fazit kaum ausfallen. In der Stadt punktet das E-Auto mit einem erfreulich niedrigen Verbrauch. Auf der Autobahn liegt der Strombedarf hingegen auf einem zu hohen Niveau. Das Fahren selbst ist komfortabel möglich, recht laute Fahrgeräusche stören aber die Ruhe, die man sonst von einem Stromer gewohnt ist.
Dass ein riesiger Touchscreen zur Verfügung steht, ist super. Dass er dreigeteilt ist und darunter die Übersichtlichkeit zum Teil leidet, gefällt weniger. Und wenn das Navigationssystem dann in einigen Fällen auch noch merkwürdige Umwege diktiert und den Fahrer sogar auf einen Fuß- und Radweg abbiegen lassen möchte, ist die Verwirrung komplett.
Und trotzdem: Für den Stadtverkehr ist der Honda e:Ny1 ein wundervolles Elektroauto, das nicht nur beim Transport von Kindern echte Stärken hat. Man muss sich auf dieses E-Auto einlassen und über manche Schwächen hinwegsehen können.
Vorteile Honda e:Ny1
- niedriger Verbrauch in der Stadt
- viel Platz im Innenraum
- kompakte Abmessungen
- gute Fahreigenschaften
Nachteile Honda e:Ny1
- hoher Verbrauch auf der Autobahn
- unterdurchschnittliche Schnellladeleistung
- zum Teil störende Fahrgeräusche
- zum Teil durchdrehende Vorderreifen