Dass Huawei aufgrund eines US-Embargos nicht mehr mit Google zusammenarbeiten kann, ist hinreichend bekannt. Dadurch stehen auf neuen Huawei-Smartphones keine Google-Dienste und kein Play Store zum Herunterladen von Apps zur Verfügung. Stattdessen hat Huawei in den vergangenen zwei Jahren seine eigenen Alternativen auf- und ausgebaut. Können es diese mittlerweile mit Google aufnehmen? Und wie steht es um die App-Auswahl? Um diese Fragen zu beantworten, habe ich das Huawei Nova 9 für 24 Stunden im Alltag ausprobiert.
Samstag, 13 Uhr: Los geht’s
Am Samstag hatte ich Wochenenddienst und so beginnt mein Test des Huawei Nova 9 am Schreibtisch. In der Box findet sich neben dem Smartphone ein 66 Watt Netzteil inklusive USB-C Kabel und eine Kunststoff-Schutzhülle in der Box. Unser Testgerät in der Farbe "Starry Blue" gefällt mir ausgesprochen gut. Das gerade einmal 175 Gramm schwere und sehr dünne Smartphone liegt mit seiner leicht angerauten, matten Rückseite ausgezeichnet in der Hand. Die Verarbeitung ist einwandfrei und unterstreicht den hochwertigen Eindruck. Ich stecke das Smartphone ans Ladegerät und beginne mit der Einrichtung.
Beim Eintippen des W-LAN Passworts fällt mir der gebogene Bildschirm negativ auf. Die äußeren Buchstaben und Zahlen liegen auf dem gebogenen Bereich und verlangsamen das Tippen auf dem Smartphone. Auch wenn gebogene Bildschirm-Ränder auf Hochglanz-Fotos beim Hersteller gut aussehen, bieten sie im Alltag mehr Nach- als Vorteile.
Erste Erfahrungen mit der App-Auswahl
Weiter geht es mit der Anmeldung mit einem Huawei-Konto und dem Übertragen der Daten von meinem alten Smartphone. Statt der Google-App kommt hier Huaweis eigene App "Phone Clone" zum Einsatz, die ich mir auf meinem bisherigen Smartphone installieren muss. Das Übertragen von Fotos und Kontakten funktionierte im Test zuverlässig und schnell. Phone Clone bietet sogar die Möglichkeit installierte Apps auf das Huawei Nova 9 zu kopieren. Dies funktionierte sogar mit Apps, die nicht in Huaweis Appstore vertreten sind, oder die man über den Google Play Store gekauft hat. So wurde beispielsweise das kostenpflichtige Spiel "Mini Metro" übertragen, obwohl ich es in der Huawei App Gallery nicht gekauft habe – praktisch! Ein Problem mit den auf diese Weise installierten Apps gibt es jedoch: Man erhält keine Updates. So verpasst man nicht nur kommende Features, sondern ist auch potenziellen Sicherheitsrisiken ausgesetzt.
Benötigt die App hingegen Google-Services, wird sie nicht kopiert. Dazu zählen nicht nur alle eigenen Apps von Google wie Maps, Youtube oder Home, sondern auch andere Apps wie Netflix, OneDrive und diverse Banking-Apps. Auch auf mein Lieblingsspiel Pokémon Go muss ich wohl die nächsten 24 Stunden verzichten. Für einige Google-Apps bietet Huawei hingegen eigene Alternativen an.
16 Uhr: Unterwegs mit dem Huawei Nova 9
Nach Feierabend fahre ich in die "Glindower Alpen" – ein Naturschutzgebiet rund 50 Kilometer außerhalb von Berlin. Zeit also, die Google Maps Alternative "Petal Maps" einmal im Alltag zu testen. Petal Maps findet das Ziel als "Touristenattraktion" auch ohne eine spezifische Adresse problemlos. Ich befestige das Huawei Nova 9 in der Autohalterung und fahre los. Die Navi-Stimme klingt etwas ungewohnt künstlich, doch ansonsten läuft die Navigation problemlos, bis ich irgendwann aufgefordert werde rechts abzubiegen – auf einen Feldweg mit Schlagbaum davor. Ich halte also an und schaue auf die Karte. Das Ziel ist nicht mehr weit entfernt, jedoch versucht Petal Maps mich einfach möglichst nah an die virtuelle Stecknadel auf der Karte zu schicken. Jedoch gibt es hier weder einen Wanderweg noch eine Möglichkeit zu Parken.
Ich hole also mein Google-Smartphone hervor und starte Google Maps. Hier werde ich mit dem Stichwort "Glindower Alpen" direkt zu einem Parkplatz navigiert, wo ein Wanderweg in das Naturschutzgebiet beginnt. Petal Maps erinnert an die Anfänge von Apple Maps. Grundsätzlich sind alle Ziele vorhanden, doch die Erfahrungswerte aus der echten Welt, die Google Maps so großartig machen, fehlen bisher.
17 Uhr: Erste Tests der Kamera - bei schwierigen Lichtverhältnissen
Beim Wandern durch das Naturschutzgebiet dämmert es bereits. Eine ideale Möglichkeit die Kamera in schwierigen Lichtbedingungen zu testen.
Hierbei fällt mir ein interessantes Verhalten auf: Wenn dem Motiv ein Vordergrund fehlt, werden die Fotos grundsätzlich unscharf. Steht ein Objekt sichtbar im Vordergrund, stimmt die Schärfe hingegen. Das werde ich mir morgen einmal im Detail ansehen.
18 Uhr: Besuch im Café
Nach dem kleinen Spaziergang halte ich auf dem Rückweg an einem kleinen Café für ein Stück Kuchen. Zum Bezahlen benötige ich erneut mein Google-Smartphone. Denn die Bezahlung mit Huawei Pay ist hier nicht möglich. Im Gegensatz zu Google Pay und Apple Pay funktioniert Huawei Pay nicht überall, wo eine kontaktlose Zahlung mit Kreditkarte möglich ist. Huawei Pay setzt auf den Bezahldienstleister "Bluecode". Hierfür musst du dein Bankkonto mit dem Dienst verbinden, damit Zahlungen per Lastschrift eingezogen werden können. Zum Bezahlen zeigst du dann einen QR-Code auf deinem Huawei-Smartphone vor. In Deutschland ist Rossmann aktuell der einzige größere Anbieter, bei dem die Zahlung per Huawei Pay möglich ist. Die Navigation nach Hause funktioniert mit der eingegebenen Adresse anschließend problemlos.
20 Uhr: Unterhaltung am Abend
Wieder zu Hause möchte ich die Nachrichten und Netflix schauen. Die Tagesschau-App ist verfügbar – das Streamen auf den Fernseher fällt mangels Chromecast-Support jedoch flach. Also starte ich den Fernseher direkt mit der Fernbedienung und nutze das Smartphone nebenbei zum Chatten. Telegram gibt es in der App Gallery, WhatsApp und Instagram konnte ich problemlos vom Hersteller herunterladen. Alle drei Apps wurden jedoch bereits beim Einrichten anstandslos übertragen. Alte WhatsApp-Chats lassen sich jedoch mangels Google Drive nicht wiederherstellen. Hier könnte man sich mit einem Computer behelfen.
Was überhaupt nicht funktioniert, ist das Steuern meines Smart-Home Systems. Ohne Google Services läuft auch die Google Home App nicht und so muss ich zum Schalten von Licht, Heizung und Co. wieder mein Google-Smartphone hervornehmen. Den Tag beende ich mit einem Akkustand von 71 Prozent.
Der nächste Tag: Einmal quer durch Berlin
Die Standby-Zeit des Huawei Nova 9 ist nicht gerade beeindruckend. Ohne Flugmodus fehlen am Morgen ganze 8 Prozent auf der Akkuanzeige. Und das trotz ausgeschaltetem Always-On-Display.
Nach dem Frühstück nutze ich den freien Sonntag und fahre in die "Gärten der Welt". Die Strecke der S-Bahn führt mich in rund 80 Minuten einmal quer durch Berlin. Die Zeit vertreibe ich mir mit ein paar YouTube-Videos. Meine FreeBuds 4 Kopfhörer von Huawei verbinden sich schnell und ohne Probleme. Die YouTube-App ist für das Huawei Nova 9 leider nicht zu haben. Stattdessen verweist mich die Huawei App Gallery auf die Website – die ich mir als Verknüpfung auf den Homescreen legen kann. Video-Downloads sind jedoch nur in der App möglich, daher muss ich mich auf mein Datenvolumen verlassen. Und auch der Stromverbrauch ist ohne App rund ein Drittel höher.
Der Mobilfunk-Empfang des Nova 9 ist jedoch ausgezeichnet und eine echte Stärke von Huawei. An einigen Stellen, wo mein anderes Handy kein Netz hat, funktioniert das Huawei Nova 9 weiterhin. So kommt es auf der kompletten Strecke zu keinem Aussetzer beim Streamen. Und das, obwohl das Huawei-Smartphone durch die US-Sanktionen keinen Zugang zum 5G-Netz hat. Eine gute 4G-Verbindung ist im Alltag jedoch vollkommen ausreichend.
Ein Problem gibt es jedoch mit den gebogenen Displayrändern. So reflektiert der Bildschirm deutlich stärker als ein flaches Modell und bei einem schrägen Blickwinkel stimmen die Farben am Rand nicht. Zudem ist die "Scroll-Leiste" von YouTube so weit unten, dass ein Vorspulen im Video als Fehleingabe am Rand herausgefiltert wird. Unpraktisch.
Alltags-Test der Kamera
Den vielseitigen Park "Gärten der Welt" nutze ich, um weitere Fotos mit dem Huawei Nova 9 zu machen. Auch hier fällt wieder die Unschärfe auf, sobald sich kein Objekt im Vordergrund befindet:
Nach einigen Fotos vermute ich das Problem für die Unschärfe gefunden zu haben. Statt ein volles 50 Megapixel-Foto zu speichern, kombiniert die Kamera nämlich immer vier Pixel zu einem. Diese Technologie nennt sich Pixel-Binning und wird bei fast allen Smartphone-Kameras mit hoher Auflösung eingesetzt. So sind Fotos mit höherem Dynamikumfang möglich. Scheinbar gibt es beim Huawei Nova 9 ein Software-Problem mit dieser Technologie. Denn schaltet man Pixel-Binning ab, tritt das Problem nicht mehr auf. Hier sollte Huawei per Update nachbessern.
Die 8 Megapixel Ultraweitwinkel-Kamera überzeugt ebenfalls mit einer sehr guten Schärfe. Lediglich die Farben können hier etwas kräftiger sein. Verzerrungen am Rand werden von der Software ausgezeichnet korrigiert, wie man an der Antenne auf dem Beispielfoto sehen kann:
Von der 2 Megapixel Makro-Kamera sollte man hingegen eher die Finger lassen. Trotz unzähliger Versuche sind mir damit keine brauchbaren Fotos gelungen.
Richtig gut gefällt mir hingegen die Frontkamera. Schärfe und Farben stimmen und der eingebaute Beauty-Filter ist vollständig abschaltbar. Dank einem relativ breiten Sichtfeld sind auch Fotos mit mehreren Personen kein Problem.
24 Stunden mit dem Nova 9: Das sagt der Akku
Die Rückfahrt nach Hause verbringe ich mit einem Podcast. Als ich zu Hause ankomme, steht die Akkuanzeige des Huawei Nova 9 bei 18 Prozent. Zeit also für einen letzten Test: Ich schließe das mitgelieferte 66 Watt Netzteil an und stoppe die Zeit. Nach etwas über 30 Minuten ist der Akku wieder vollständig geladen.
Mein Fazit: Wie schlägt sich das Huawei Nova 9?
In den vergangenen 24 Stunden habe ich mir viel Mühe gegeben, das Huawei Nova 9 in meinen Alltag zu integrieren – bin jedoch immer wieder an die Grenzen von Huaweis Software gestoßen. Viele Apps wie beispielsweise YouTube sind im Browser nur mit eingeschränktem Funktionsumfang zu nutzen und ich hätte auch keine Lust am nächsten Werktag meinen Kalender im Browser abzurufen oder Google Meet im Browser zu verwenden. Meine Kontakte wurden zwar problemlos übertragen – zukünftige Änderungen am PC übernimmt das Handy jedoch nicht automatisch. Zudem gehört Google Maps zu einer meiner absoluten Lieblingsapps, mit der ich mich in jeder Stadt zurechtfinden kann und mehrere hundert Locations in diversen Listen gespeichert habe.
Das Huawei Nova 9 ist von der Hardware her ein tolles Smartphone. Doch wenn du das Handy nutzen möchtest, musst du bereit sein, dich von Google-Diensten zu verabschieden und dich mit den Huawei-Alternativen zu arrangieren. Auch sind weiterhin nur sehr wenige Apps in Huaweis App Gallery vorhanden. Bei den meisten Apps verweist dich der Store auf externe Download-Seiten wie apkpure.com. Wie sehr man diesen Download-Quellen vertraut, ist jedem selbst überlassen. Zudem werden die meisten Apps alle paar Wochen aktualisiert. Ohne App-Store musst du für jede App einzeln nachschauen, ob ein Update verfügbar ist. Ansonsten verpasst du mögliche neue Funktionen oder gehst Sicherheitsrisiken mit veralteter Software ein.
Aufgrund der beschriebenen Einschränkungen ist das Huawei Nova 9 eigentlich nur für diejenigen Nutzer geeignet, die gezielt auf Google und deren Services verzichten möchten und genau wissen, worauf sie sich einlassen. Auch für absolute Wenig-Nutzer, die beispielsweise nur WhatsApp und die CovPass-App auf ihrem Smartphone installiert haben, wäre das Huawei Nova 9 brauchbar – doch für diesen Einsatzzweck gibt es deutlich günstigere Smartphones.
Hardware-Wertung im Detail
- Gehäuse: 3,5 von 5 Sternen
- Display: 4,5 von 5 Sternen
- Ausstattung: 3 von 5 Sternen
- Kamera: 3,5 von 5 Sternen
- Software: 3 von 5 Sternen
- Akku: 3,5 von 5 Sternen
Pro's des Huawei Nova 9
- schickes & elegantes Design
Contra's des Huawei Nova 9
- keine Google-Dienste
- eingeschränkte App-Auswahl
- Curved-Display mit Farb-Problemen am Rand
- Kamera mit Software-Problem
- relativ teuer
Alternativen
Mit einem Preis von 499 Euro für das 8/128 Gigabyte Modell ist das Smartphone wahrlich kein Schnäppchen. So gibt es das Samsung Galaxy S20 FE – ein echtes Flaggschiff-Smartphone von vergangenem Jahr mit allen Google-Diensten und Apps zum selben Preis. Und auch Xiaomi hat mit dem Xiaomi 11T eine potente Alternative im Angebot, bei der du nicht auf deine gewohnten Apps verzichten musst. Für Huawei-Fans hat Honor zudem ein fast baugleiches Handy mit Play Store im Angebot.
Hallo,
Ich nutze seit fast 2 Jahren das P40 ohne Google.
Es ist anfangs ungewohnt aber man gewöhnt sich schnell daran und ich muß sagen, ich kann damit sehr gut leben.
Achja Google Maps funktioniert sehr wohl auf dem Huawei Geräten 🙂
Zumindest habe ich die app auf meinem P40.
Updates stimmt zwar aber bei den „alternativ“ stores werden die updates komplett angezeigt, nur das man diese dann manuel durchführen muss. Man muss sie aber nicht umständlich selber suchen.
Schöne Grüße
Also ich habe das P40 Pro+ und bin sehr zufrieden. Gut, der Autor hat ja auch nur 24 Stunden getestet. Konnte sich also nicht so tief mit der App – Problematik einarbeiten. Google-Maps funktioniert bei mir auch. Allerdings ohne Anmeldung. Stört mich aber wenig. Für YouTube gibt es eine spitzen Alternative: YouTube Vanced. Mit allen Funktionen. Auch so habe ich alle von mir benötigten Apps. Von Authenticator zur Token Generierung für die Arbeit über Druckerdienstprogramme für meinen HP, Spotify, bis zur Zoll und Reise App (um im Alphabet zu bleiben). Nur E-Bay ist nicht zu haben (E-Bay Kleinanzeigen ja). Zugegebener Maßen ist es mit Google-Diensten bequemer. Viel bequemer. Aber das Smartphone selber ist so ausgereift, dass ich es schon seit über ein Jahr halte. Alle Flaggship-Smartphones vorher habe ich spätestens nach einem 3/4 Jahr ausgetauscht. Aber nun sind die Phones wohl „ausentwickelt“. Mein nächstes Phone wird allerdings wieder Google-Dienste haben.
Hmja, O.K. – aber wie ist das “Phone“ beim Telefonieren?
Lautstärke, Audioverständlichkeit, Sprachqualität, Empfang, etc.
LG
Für mich wäre es perfekt – endlich ein Android ohne die Datenkrake Google mit vielen Daten zu füttern. Und zur Youtube-App: hier sollte jeder Nutzer die NewPipe App eines deutschen Entwicklers nutzen; Youtube endlich ohne Werbung und Tracking. Und zu Google Maps: man hätte Here Maps ausprobieren sollen. Vom genannten Petal Maps hab ich noch nie gehört. Es ist wirklich einfach auf Google zu verzichten; nur eine kurze Umgewöhnung nötig. Und das sogar für die Suchmaschine – hier finde ich DuckduckGo und Qwant aus Europa die besten Alternativen.