Nachdem sich Huawei hierzulande zunächst vor allem als Anbieter besonders günstiger Smartphones etabliert hat, haben die Chinesen mittlerweile auch in der gehobenen Mittelklasse Fuß gefasst. Besonders interessant im aktuellen Portfolio ist hier das Ascend G 615, spielt dieses doch bei den Leistungsdaten und dem Preis in einer Liga mit dem beliebten Google Nexus 4. Ob der Gegenentwurf von Huawei dem nur schlecht verfügbaren Modell von Google gewachsen ist und wie viel Smartphone man für knapp unter 300 Euro tatsächlich bekommt, verrät der Test auf inside-digital.de.
Unser Importmodell des Huawei G 615 kommt in einem recht schmucklosen weißen Pappkarton daher. Ähnlich bieder fällt dessen Innenleben aus. Dort findet sich das Smartphone und ein im Gegensatz zum Nexus 4 nicht fest verbauter Akku. Das mitgelieferte USB-Kabel dient verbunden mit dem separaten Netzstecker gleichzeitig als Ladekabel. Weitere Zugaben wie ein Headset oder ähnlichem sucht man dagegen vergeblich. Dies darf man sicherlich auch als ein erstes Zugeständnis an den Kampfpreis von 300 Euro sehen.
Trotz des günstigen Preises wirkt das Huawei Ascend G 615 alles andere als billig. Unser schwarzes Testmodell wirkt solide verarbeitet, auch wenn als Material Kunststoff zum Einsatz kommt. Die Rückseite ist leicht angeraut und bietet so die Haptik einer gummierten Oberfläche. Beim Design steht rechteckige Funktionalität im Vordergrund, bei Abmessungen von 134 x 67,5 x 10,5 mm liegt das Smartphone gut in der Hand. Im direkten Vergleich zum Nexus 4 ist es etwas dicker und mit 148 Gramm auch schwerer als der direkte Konkurrent. Insgesamt gibt es aber keine wirklichen Ansatzpunkte für Kritik.
Über eine Kerbe im unteren Bereich lässt sich die im geschlossenen Zustand genau und fest sitzende Rückseite bequem entfernen. Unter der Abdeckung finden neben dem Akku eine Standard-SIM und eine SD-Karte mit einer Kapazität von bis zu 32 Gigabyte Platz. Letzteres darf man als ersten großen Vorteil gegenüber dem Nexus 4 sehen, das mit maximal 16 Gigabyte fest verbautem Speicher auskommen muss. Dazu gibt es im unteren Bereich zwei zusätzliche Lautsprecher, die ihren recht satten Klang über zwei durch eine Gitterstruktur geschützte Aussparungen nach außen tragen. Im Gegensatz zu der bündigen Verbindung zwischen Abdeckung und Body an den Seiten ist die Aussparung für die Kameralinse nicht zu hundert Prozent passgenau. Hier sammeln sich schnell Krümel und anderer Dreck. Dieser Punkt gilt weniger stark auch für den Übergang von Gehäuse und Display. Huawei macht keine Angaben dazu, ob die Oberfläche des Bildschirms durch spezielle Verfahren wie beim bekannten Gorilla Glas gegen Kratzer geschützt ist.
Schnell abgeschlossen ist die Aufzählung der Tasten und Anschlüsse. Rechts oben sind an der Seite der Ein/Aus-Schalter und die gut erreichbare Lautstärkewippe platziert. Eine separate Taste als Auslöser für die Kamera fehlt. An der Kopfseite findet sich die 3,5 mm Klinkenbuchse für ein optionales Headset, seitlich links ist der nicht abgedeckte Micro-USB-Port untergebracht. Beim Tastenlayout setzt Huawei von links nach rechts auf die Einteilung „Zurück“, „Home“ und „Einstellungen“. Die ausreichend beleuchteten Tasten sind Teil des Gehäuses und werden nicht wie bei vielen aktuellen Smartphones über das Display simuliert. Praktisch ist auch die verbaute Status-LED über dem Display, die auf verpasste Nachrichten und Anrufe hinweist.
Getestet wurde die Sprachqualität des Huawei Ascend G 615 im Netz von O2. Insgesamt hatten wir im Testzeitraum im Großraum Köln immer sehr guten Empfang, was allerdings auch zu erwarten war. Die Sprachqualität ist gut. Nebengeräusche mit Ausnahme von Wind werden recht gut aus dem Gespräch herausgefiltert, entsprechend klar und deutlich ist die Person auf der anderen Seite der Leitung zu verstehen. Stimmen wirken dafür leicht blechern und damit wenig natürlich, zu den SAR-Werten macht Huawei keine offiziellen Angaben.
Der im Lieferumfang enthaltene Akku des G615 hat eine ausreichende Kapazität von 2.150 mAh. Laut Huawei sollen damit bis zu 11 Stunden Gesprächs- und 360 Stunden Standbyzeit möglich sein. In jedem Fall haushaltet das Smartphone über die firmeneigene Battery Saving Technology gut mit den verfügbaren Energiereserven. In unserem gemischten Testparcours, der neben diversen Benchmarks unter anderem einige Gespräche, SMS, Ausflüge ins Web und Videos beinhaltete, hielt das Ascend trotz aller aktivierten Schnittstellen (Bluetooth, WLAN, GPS) gute anderthalb Tage durch. Beim Einsatz als reiner Videoplayer stand die Akkuanzeige bei voller Displayhelligkeit nach knapp drei Stunden bei 50 Prozent.
Huawei setzt beim Ascend G 615 auf ein IPS-Display mit einer Auflösung von 720 x 1.280 Pixeln (HD). Diese verteilen sich auf ein Display mit einer Diagonale von 4,5 Zoll (11,43 cm). Hieraus ergibt sich eine recht hohe Pixeldichte von 330 ppi. Alle Werte liegen im Bereich des Nexus 4, wobei das Gerät von Google bei der Displaygröße und Auflösung minimal die Nase vorne hat. Der direkte Vergleich der Pixeldichte geht dagegen knapp an Huawei.
Ein deutlicher Unterschied zeigt sich hingegen bei der Blickwinkelstabilität. In diesem Punkt ist das G 615 seinem direkten Konkurrenten ein gutes Stück voraus, auch aus extremen Blickwinkeln bleibt das Display lesbar und die Farben verfälschen nicht. Helligkeit und Kontrast gehen ebenfalls in Ordnung, auch wenn hier nicht ganz die Werte der Super-AMOLED-Displays von Samsung erreicht werden, die dafür in einer anderen Preisklasse spielen. Texte und Grafiken sind auf jeden Fall sehr gut lesbar, auch in die höchsten Zoomstufen sind keine Pixelkanten zu erkennen. Aus diesem Grund eignet sich das Ascend G 615 hervorragend als Videoplayer. Gutes Quellmaterial vorausgesetzt, werden unter YouTube auch kleinste Details noch scharf und flüssig dargestellt.
Die schnell auslösende Kamera schießt Bilder mit einer Auflösung von bis zu 8 Megapixeln. Zur Ablichtung schlecht ausgeleuchteter Motive hat Huawei dem G 615 einen BSI-Sensor und einen Doppel-LED-Blitz spendiert. Was fehlt ist dagegen ein richtiger Bildstabilisator. In der Praxis ist die Lichtausbeute dann auch bei nicht optimalen Bedingungen in der Regel gut, durch die nötige längere Belichtung verwackeln die Motive aber leicht, was viele Details des Motivs einfach verwischt. Die Bilder wirken wie mit einem Weichzeichner nachbearbeitet, eine Raufasertapete wird so zur strukturlosen weißen Fläche und es zeigen sich deutlich sichtbare Artefakte. Neben der verlässlichen Automatik bietet die einfache Kamera-App von Android einige Möglichkeiten zur manuellen fein Justierung:
Szenenmodi
- Aktion
- Portrait
- Landschaft
- Nachtaufnahme
Aufnahmemodi
- Einzelbild
- Gruppe
- HDR
- Serienbild
- Lächeln
- Verschönern
- Panorama
- Schwaches Licht
Weißabgleich
- Glühlampenlicht
- Tageslicht
- Neonlicht
- Bewölkt
Bildjustierung
- Belichtung
- Sättigung
- Kontrast
- Helligkeit
Dazu gibt es einen Timer, ISO-Einstellungen von 100 bis 800, verschiedene Filter für einen Lemo- oder Sepia-Look und Verfremdungseffekte wie „Große Nase“ und „Breites Lächeln“. Darüber hinaus nimmt die Kamera Videos mit brauchbarem Ergebnis und Ton in Full-HDauf. Die Frontkamera bietet für Videochats eine Auflösung von 1,3 Megapixeln. Insgesamt ist das Ascend G 615 natürlich kein Ersatz für eine separate Kamera, für den einen oder anderen schnellen Schnappschuss reicht die Qualität aber allemal.
Die Bedienung des Ascend G 615 gelingt problemlos. Außer dezenten Eingriffen wie dem eigenen Lockscreen mit direktem Zugriff auf wichtige Funktionen wie der Kamera oder dem Messenger belässt es Huawei fast vollständig bei der Standard-Konfiguration von Android 4.0.4 (ICE). Gleichzeitig liegt das Smartphone damit schon zwei größere Updates hinter dem Nexus 4 (4.2.1). Ein Update auf „Jelly Bean“ hat Huawei schon für den März 2013 in Aussicht gestellt. Auf dem Stand welcher Versionsnummer sich das G 615 dann befinden wird, ist derzeit noch nicht klar.
Prinzipiell ist der Funktionsumfang natürlich auch mit der vorliegenden Software-Ausstattung mehr als brauchbar. Einen Anteil daran hat die vom Prinzip her gute Tastaturmit ihren ausreichenden Tastenabständen. Etwas umständlich gelöst ist der Button zum Wechsel zwischen einem deutschen (QWERTZ) und englischen (QWERTY) Layout. Im deutschen Modus sind die Vokale mit dem passenden Umlaut doppelt belegt, im englischen dagegen die obere Buchstabenreihe mit den Ziffern eins bis null. Beides gleichzeitig ist nicht möglich, in der Praxis springt man daher oft zwischen beiden Varianten, da die Tastatur keine Wortvorschläge unterbreitet. Dazu vergisst das Smartphone zwischendurch immer mal wieder die letzte Einstellung und startet zunächst automatisch mit dem englischen Layout.
Einen guten Eindruck hinterlässt das Ascend G 615 beim Blick auf die Ergebnisse der verschiedenen Benchmarks. Im AnTuTu Benchmark muss sich Huaweis Bolide mit 14.521 Punkten dem Nexus 4 (16.774) knapp geschlagen geben, kann den Vergleich unter Quadrant mit 4.906 Zählen allerdings für sich entscheiden (4.869). Dennoch kam das G 615 beim schnellen Wechsel zwischen verschiedenen Apps und gleichzeitig laufenden Updates/Downloads immer mal wieder kurz aus dem Takt. Dies zeigte sich dann in leichten Menürucklern, welche die Arbeit zwar nicht spürbar behindern, aber natürlich wahrnehmbar sind und von einigen User sicherlich als störend empfunden werden dürfte. Es bleibt abzuwarten, ob Huawei dieses Problem mit einem Software-Update dauerhaft abstellen kann.
Lediglich knapp über Standard präsentiert sich das Ascend G 615 bei der Auswahl der verfügbaren Verbindungsmöglichkeiten. Beim mobilen Datentransfer bietet Huawei zügige Downloads via HSPA+ (bis zu 21 MBit/s). Ebenfalls mit an Bord sind schnelles WLAN nach den 802.11n Standard, Bluetooth 3.0, Wi-Fi Direct und DLNA. Dafür fehlen unter anderem LTE, NFC, MHL und USB-OTG.
Als technische Basis setzt Huawei mit dem 1,4 GHz schnellen Quad-Core-Prozessor K3V2 auf eine Eigenentwicklung mit integriertem Grafikbeschleuniger. 3D-Spiele wie Dead Trigger werden damit sehr gut dargestellt, dafür bricht die Framerate in Situationen mit vielen gleichzeitig dargestellten Gegnern spürbar ein. Auch die Ladezeiten fallen subjektiv höher aus als beim Nexus 4 und Spitzenmodellen wie dem Samsung Galaxy S3. Wie bei den schon angesprochenen leichten Menürucklern muss sich hier noch zeigen, ob diese Punkte mit einem kommenden Update der Software verbessert werden. Negativen Einfluss auf die Performance in leistungsintensiven Szenarien könnte auch der mit einem Gigabyte im Vergleich zum Nexus 4 (2 GB) kleiner dimensionierte Arbeitsspeicher haben. Dagegen spricht allerdings die gute Performance des Samsung Galaxy S3, das ebenfalls mit einem Gigabyte mehr als gut auskommt.
Ein je nach Nutzungsverhalten enormer Bonus ist dagegen die mit dem Huawei Ascend G615 mögliche Bestückung mit Speicherplatz. Ab Werk stehen acht Gigabyte interner Speicher (ca. 5 GB nutzbar) zur Verfügung, was der kleinen Version des Nexus 4 entspricht. Im Gegensatz zu Googles Preisbrecher sind hier über den zusätzlichen SD-Slot aber bis zu 32 Gigabyte an zusätzlichem Platz für Musik, Spiele und Video drin. Das Nexus 4 fällt hier selbst in der teureren Ausführung mit 16 Gigabyte fest verbautem Speicher deutlich ab.
Eine erste negative Überraschung erlebten wir beim Test des Standard-Browsers auf dem Huawei Ascend G 615. Hier beträgt die Ladezeit der Startseite von inside-digital.de via WLAN knapp über 30 Sekunden und damit fast so lange wie über eine mobile Datenverbindung. Der SunSpider JavaScript Benchmark liefert dazu einen unterirdischen Wert von 4.840 ms. Hoffnung auf Besserung durch das kommende Software-Update macht lediglich die Gegenprobe mit dem ebenfalls installierten Chrome-Browser. Hier verbessert sich die Ladezeit via WLAN auf knapp über 20 Sekunden und der Benchmark-Wert auf 1.928 ms. Zum Vergleich: Mit dem Nexus 4 und dem Samsung Galaxy S3 ist unsere Startseite via WLAN innerhalb von neun Sekunden vollständig geladen.
Einen guten Eindruck hinterlässt das G 615 dagegen als Mediaplayer. Die potente Hardware bringt über den im Play-Store kostenlos erhältlichen MX Player Full-HD-Videos in MKV-Containern ruckelfrei auf den Bildschirm. Der Sound gefällt, wobei die Qualität über einen separaten Kopfhörer noch einmal spürbar steigt. Der Standard-Audio-Player deckt alle Basics gut ab, bietet darüber hinaus aber keine zusätzlichen Features wie einen Equalizer.
Die Ausgabe über die rückseitigen Lautsprecher ist schon bei mittlerer Lautstärkeregelung ausreichend. Wer will, kann den Regler natürlich auch bis zum Anschlag ziehen. Dann wird der Sound aber extrem blechern, woran auch Huaweis Hinweis auf die Zertifizierung nach Dolby Digital Plus nichts ändert.
Praktisch kann die überzogene Lautstärke aber beim Einsatz in der Navigation sein. Hier bietet das Ascend G 615 zwar nur Google-Maps, der GPS-Empfänger findet dafür zügig das Signal und die Ansagen sind auch im dichten Straßenverkehr noch ausreichend hörbar. Generell ist Huawei mit Boni bei der Ausstattung mit Software nicht sehr freigiebig. Mehr als einen Dateimanager, ein Backup-Tool und eine Taschenlampen-App sind nicht vorinstalliert. Für den Einsatz als mobile Office-Suite muss man das G 615 nachträglich im Play-Store mit passenden Apps bestücken.
Ist das Huawei Ascend G 615 besser als das Nexus 4? Wahrscheinlich nicht. Ist es eine brauchbare Alternative zum Google-Smartphone? Auf jeden Fall. Vor allem da das Nexus 4 in den vergangenen Monaten nur an wenigen Tagen für wenige Stunden überhaupt lieferbar war, wird das G 615 auch für potenzielle Nexus-Käufer interessant. Im Vergleich zur übrigen Konkurrenz gelten nämlich auch hier fast die gleichen Vorteile: Wer auf LTE, NFC und andere Spezialanwendungen verzichten kann, erhält von Huawei sehr viel Smartphone für sein Geld. Abzuwarten bleibt, ob das Unternehmen sein Versprechen eines Updates der aktuell aufgespielten Android-Version 4.0.4 im März 2013 tatsächlich einlöst und ob sich damit dann auch die aktuell schlechte Performance beim Surfen nachhaltig verbessert.
Pro
- Preis
- Leistung & Laufzeit
- Slot für SD-Karte
Contra
- Schlechte Web-Performance
- Kein LTE, NFC, MHL HDMI oder USB OTG
- Zum Start nur Android 4.0.4