Es ist Mittwoch, etwa 11 Uhr in der Mecklenburgischen Seenplatte. Entlang der B192 zwischen Malchow und Karow verläuft eine Bahnstrecke, auf der sich normalerweise nur einzelne Güterzüge und an Sommerwochenenden auch Ausflugsverkehr verirrt. Doch heute ist etwas anders. Plötzlich pfeift ein ICE mit 140 km/h über die Strecke. An Bord sind aber keine Fahrgäste, sondern jede Menge Messtechnik. Und der ICE ist auch kein normaler ICE – es ist das Advanced Train Lab der Deutschen Bahn.
Spezieller ICE erprobt spezielles Handynetz
Zwei ausrangierte Diesel-ICE hat die Bahn vor der Verschrottung bewahrt und nutzt sie als Testzüge für die verschiedensten Szenarien. Aufgrund ihres Diesel-Antriebs sind sie nicht auf Oberleitungen angewiesen und können auf jeder für Bahnfahrten freigebenden Strecke fahren. So auch zwischen Malchow und Karow, einer eingleisigen Bahnstrecke mit dem Beinamen Mecklenburgische Südbahn. Übliche Höchstgeschwindigkeit: 80 km/h. Und noch etwas ist anders als gewöhnlich: Entlang der etwa zwölf Kilometer langen Strecke stehen außergewöhnlich viele Mobilfunksendemasten. Hier erprobt die Deutsche Bahn mit dem Sendemast-Betreiber Vantage Towers sowie O2 Telefónica und Ericsson die Verbesserung der Mobilfunktechnik entlang der Bahnstrecken. Dazu nutzen die Projektpartner Bahngleise der RIN (Regio Infra Nord-Ost)
5G auf Frequenzen um 3,5 GHz bringen die Partner im Rahmen eines Testnetzes auf die Strecke. Das Ziel: Gigabit-Internet im Zug. Daher auch der Projektname GINT: Gigabit Innovation Track. Mit den heutigen Sendemasten und Kapazitäten ist das nicht machbar. Deswegen hat man im Rahmen des Pilotprojektes an der Seenplatte alle 1.000 Meter einen neuen Sendemast gebaut. Für die 13 Funkmasten benötigte Vantage Towers gerade einmal einen guten Monat. Möglich wurde das durch eine veränderte Bauweise der rund 15 Meter hohen Masten. Ihre Elemente wurden am Boden vormontiert, mithilfe eines Zwei-Wege-Baggers übereinandergesetzt und miteinander verschraubt. Im Boden sind die Masten mit Stahlverstrebungen verankert, sodass keine Betonfundamente mehr gegossen werden müssen. Vantage Towers geht davon aus, dass man im Laufe der Zeit pro Bautrupp vier Masten am Tag stellen kann. Die Kosten pro Mast dürften um die 50.000 Euro liegen – ohne die notwendige Technik. Für die Stromversorgung setzt man im Rahmen des Tests auch auf acht Brennstoffzellen, um die aufwendige Verlegung von Stromkabeln zu umgehen. Möglich, dass das auch im Regelbetrieb eine Option ist.
Aufwändiger Test für schnelleres Handynetz in der Bahn
Im Zuge der Messfahrten mit dem Mess-ICE werden entlang der Strecke unterschiedliche Szenarien getestet. So sind die Masten zur Hälfte mit aktiven und passiven Antennen ausgerüstet. Die aktiven Antennen bieten grundsätzlich mehr Datenrate, haben aber einen höheren Wartungsaufwand als passive. Tests sollen nun herausfinden, was sich besser eignet, wie hoch die Antennen idealerweise montiert werden und wie groß die Reichweite der Antennen ist. Auch das Zusammenschalten mehrerer Masten testen die Techniker im Trainlab.
Die Messtechnik erfasst Signalstärke, Datenrate und Latenz, sowohl mit Antennen auf dem Dach des ICE als auch im Zuginneren. Auch der Unterschied zwischen gelaserten und nicht gelaserten Scheiben testen die Ingenieure. Das Projekt wird mit etwa 6,4 Millionen Euro vom Bundesverkehrsministerium gefördert. Nahezu den gleichen Betrag steuern die jeweiligen Projektpartner bei. Ende des Jahres wird der Testaufbau wieder abgebaut, er wird an der Strecke schlichtweg nicht mehr gebraucht, liefert bis dahin aber wertvolle Hinweise für den Aufbau eines neuen Bahnnetzes. Falls du dich nun fragst, warum man für den Test eine so einsam gelegene Strecke ausgewählt hat und nicht eine Strecke, wo man die Masten später weiterverwenden kann: Das hat rein praktische Gründe. Schon auf der einsamen Strecke muss sich der Test-ICE an viele Auflagen und enge Fahrpläne halten. Auf einer Regelstrecke wäre es nicht möglich, Taktlücken für den Zug zu finden. Außerdem werden die Frequenzen, die O2 für den Test bereitstellt, in der Region aktuell nicht genutzt. Bei einem Test in einer anderen Region sähe das womöglich anders aus.
Einmalige Chance zum Netzausbau
Die Chance, das Mobilfunkversorgung an der Bahnstrecke zu verbessern, ist einmalig. Denn es kommen zwei Dinge zusammen: Bis 2035 soll in ganz Europa der Bahnfunk von GSM-R auf das neue 5G-basierte Future Rail Mobile Communication System (FRMCS) umgestellt werden. Jeder zweite Sendemast soll hierfür genutzt werden. Und: Die Deutsche Bahn plant in den nächsten Jahren eine Generalsanierung vieler Strecken. Das würde den Aufbau eines solchen Mobilfunknetzes erleichtern. Baugenehmigungen brauche man aufgrund der Höhe der Masten nicht. Und da sie auch näher an der Bahnstrecke stehen, als andere Sendemasten, befinden sie sich noch auf dem Gelände der Deutschen Bahn. Das erleichtert den Prozess erheblich, da man keine Vereinbarungen mit den Grundstückseigentümern benötigt.
Details, wer das Projekt in Zukunft vorantreibt, gibt es heute aber noch nicht. Möglich, dass die Deutsche Bahn oder ein Sendemast-Betreiber wie Vantage Towers hier vorangeht und sich dann die Netzbetreiber Telekom, Vodafone, O2 und 1&1 auf die Technik aufschalten. Denn so viel scheint klar: Die Technik an den Sendemasten baut eine Firma zentral auf. Das Signal der einzelnen Mobilfunkanbieter übergeben diese dann an zentralen Punkten auf die Infrastruktur. Ob dieses ein zentraler Technikraum oder der einzelne Sendemast ist – aktuell unklar. Wichtig wäre, dass sich die Branche schnell einig wird. Denn mit der Strecke Hamburg-Berlin und der Sanierung der Riedbahn in Baden-Württemberg stehen die ersten Generalsanierungen vor der Tür.