Liebesbriefe per Post verschicken, Musik über den Walkman hören, Hosen mit Schlag tragen: All diese Dinge haben eines gemeinsam – nahezu niemand macht sie heute noch. Das gleiche Schicksal hat das „alte“ Handy ereilt. Mit dem Einzug des Smartphones – als Geburtsstunde gilt die Vorstellung des ersten iPhones im Jahr 2007 – wurde das klassische Handy nach und nach ersetzt und ausgemustert. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: einfachere Bedienung via Touch, größeres Display, da physische Wähltasten entfallen, und Programme alias Apps, die den Funktionsumfang des transportablen Fernsprechapparates im Hosentaschenformat erweitern.
Handy statt Smartphone – aber warum?
Dennoch gibt es Hersteller wie Punkt, die das klassische Handy zurück in die Verkaufsregale bringen. Wer aber kauft heutzutage noch ein einfaches Handy? Der Schweizer Hersteller argumentiert wie folgt: “Wir lieben Technologie, glauben aber gleichzeitig, dass unser Leben durch zu viele Funktionen, Benachrichtigungen, Optionen und ständigen Updates überlastet ist, als dass es das Leben leichter macht.” Mit dem Punkt MP 02 will das Unternehmen das Leben der Menschen also leichter machen. Von diesem Traum muss sich der Nutzer allerdings ziemlich schnell verabschieden.
Zurück in die Vergangenheit
Wer ein Smartphone besitzt und in der Entwicklung einen Schritt zurückgeht, wird in vielen Situationen vor Herausforderungen gestellt. Ob Navigieren, Musik hören, über Messenger chatten, E-Mails lesen oder ein Foto machen – all das geht mit dem Punkt MP02 nicht. Petter Neby, Gründer des jungen Unternehmens, sagt: “Wenn jemand mit mir reden will, kann er mich anrufen.” Neben dem Empfang und Versand von SMS ist das auch die einzige Möglichkeit, mit Freunden oder Bekannten Kontakt aufzunehmen. In Zeiten von Allnet- und SMS-Flats eigentlich kein Problem. Dass man dann aber von Geburtstagsfeiern und Partys nichts mitbekommt – erfolgen Einladungen heutzutage doch meist über WhatsApp-Gruppen – dürfte viele Smartphone-zu-Handy-Umsteiger stören.
Darüber hinaus unterbietet das Punkt MP 02 jedes Smartphone mit einer überschaubaren Anzahl an Funktionen und Verbindungsmöglichkeiten, die zum Teil Fragen aufwerfen. Wer bei der Bedienung des Handys aufhört über das nicht touchfähige, monochrome Display zu wischen und die Punkt-Taste drückt, gelangt ins Menü. Dort zu finden: ein Kalender, die Uhr mit ihren Unterfunktionen Wecker, Timer und Stoppuhr sowie eine Notizfunktion, ein Taschenrechner, die Anrufliste und Einstellungen.
Wie man das von Handys aus den 90er Jahren kennt, lassen sich in den “Einstellungen” Klingeltöne auswählen, die PIN der SIM-Karte ändern oder die Menüsprache einstellen. Unter dem Punkt “Konnektivität” wird es etwas spannender. Hier kann der Nutzer Bluetooth, WLAN, Tethering, mobile Daten und Roaming ein- und ausschalten. Während Bluetooth ausschließlich zur Übertragung von Kontakten gedacht ist, könnte sich der eine oder andere Nutzer aber fragen: Wofür die Internet-Verbindung?
Smarthandy statt Smartphone
Die einzige Situation, in der das WLAN-Modul zum Einsatz kommt: Software-Updates herunterladen. Ansonsten gibt es keinerlei Funktionen auf dem Punkt MP 02, die eine Internetanbindung brauchen. Wer einen Handyvertrag mit Datennutzung hat, kann mit dem Punkt MP 02 eine Internetverbindung via LTE herstellen. Diese bringt zunächst einmal nichts. Aber, so der Hersteller: “Wenn es Zeit ist, online zu gehen, kann die LTE-Verbindung des MP 02 mit einem Tablet oder Laptop geteilt werden – das bedeutet eine leichtere Eingabe als beim Smartphone und einen größeren Bildschirm.” Wer also statt einem Smartphone lieber ein Handy samt Tablet mit sich herumträgt, kann dieses zum Musikhören oder Navigieren benutzen.
Akkulaufzeit: Die totale Katastrophe
Der Hersteller schreibt auf seiner Internetseite, das Punkt MP02 böte eine ausgezeichnete Akkulaufzeit. Wenn die fest verbaute, aufladbare Batterie das Handy, mit dem man – außer telefonieren und SMS verschicken – ohnehin nichts machen kann, nach einem Tag ohne Nutzung am Ende ihrer Kräfte ist, dann ist das alles andere als „eine ausgezeichnete Akkulaufzeit“. Dann handelt es sich vielmehr um eine Lüge. Selbst die Umstellung des Mobilfunkstandards von LTE auf 2G brachte keine signifikante Verbesserung. Im Vergleich zu den Nokia-Handys von einst, die auch mal eine Woche ohne Steckdose auskamen, ist das Punkt MP 02 in dieser Hinsicht eine Katastrophe. Zumindest wissen die Macher des schlichten Telefons Bescheid: Man arbeite daran, heißt es.
Viel Sand im Getriebe
Es ist nicht nur die Akkulaufzeit, an der Punkt arbeitet. So kann es vorkommen, dass der Lautlos-Modus sich deaktiviert und das Handy plötzlich doch klingelt. Benachrichtigungen über neue SMS erscheinen nicht immer auf dem Bildschirm. Dafür wird ständig eine Benachrichtigung angezeigt, wenn der Wecker gestellt ist. Zudem springt die Vibrationsfunktion nicht immer an. Diverse Punkte in Untermenüs sind nicht in die deutsche Sprache übersetzt. Und beim Verfassen von SMS ist die T9-Funktion unzureichend. Lässt sich das Handy wenigstens einfach und schnell bedienen? Ersteres trifft noch zu und ist auch dem geringen Funktionsumfang geschuldet. Die Performance aber lässt zu wünschen übrig. Hier und da wartet man nach dem Drücken einer Taste auf die Reaktion des Handys.
Fazit
Hätte Punkt dieses Handy vor 20 Jahren in den Handel gebracht, hätte es mit seinen Internetfunktionen und Tethering ein Bestseller werden können – von der miserablen Akkulaufzeit abgesehen. In der heutigen Zeit dürften die Verkaufszahlen jedoch bescheiden ausfallen.
Es grenzt beinahe an eine Frechheit: Punkt verkauft ein Handy, das definitiv nicht zu Ende entwickelt wurde. Und das Beste kommt noch: Der Schweizer Hersteller verlangt für das Punkt MP 02 satte 330 Euro. Was den hohen Preis rechtfertigt? Vielleicht ist es die Blackberry-Sicherheitssoftware, die Punkt zum Schutz – vor was eigentlich? – verwendet. Vielleicht ist es das Aussehen, für das der preisgekrönte Designer Jasper Morrison verantwortlich ist. Vielleicht sind es die Klingeltöne des MP 02, die vom norwegischen Klangkünstlers Kjetil Røst Nilsen aufgenommen und komponiert wurden. Und dennoch: 330 Euro. Nur zum Vergleich: Das Nokia 105, ebenfalls ein normales, einfaches Handy für Telefonate und SMS, gibt es für rund 20 Euro. Menschen, die den digitalen Detox wollen, können sich also auch weitaus günstiger entgiften.