Es ist zwei Jahre her, da konnten wir bereits den Kia e-Niro im Test umfangreich auf die Probe stellen. Jetzt haben wir das optisch gewaltig aufgewertete und breiter aufgestellte Nachfolgemodell, den Kia Niro EV Inspiration mit 64,8 kWh großer Batterie, genauer unter die Lupe nehmen können. Das Kompakt-SUV bietet eine Leistung von 150 kW (204 PS) und punktet mit einer umfangreichen Serienausstattung. Unter anderem sind eine elektrische Heckklappe, elektrisch einstellbare Sitze vorn und ein Frontkollisionswarner bereits ab Werk an Bord. Zahlreiche andere praktische Extras kosten bei dem Elektroauto aber extra. Etwa das Head-up-Display (+1.290 Euro) oder der Totwinkelassistent mit Lenk- und Bremseingriff, der zusammen mit einem Querverkehrwarner 1.590 Euro zusätzlich kostet. Auch eine im Winter hilfreiche Wärmepumpe für die Innenraumklimatisierung gibt es nur gegen Aufpreis (+1.000 Euro).
Kia Niro EV im Test: Viel Komfort auf knapp 4,50 Metern
Wer in dem Crossover-SUV von Kia Platz nehmen darf, wird sich recht schnell wohlfühlen. Groß gewachsene Menschen werden unter Umständen feststellen, dass die Füße auf Fahrer- und Beifahrersitz recht hoch auf dem Boden stehen, mit den passenden Sitzeinstellungen ist aber auch auf der Langstrecke viel Komfort gegeben. Nur etwas mehr Seitenhalt wäre bei Kurveneinfahrten schön. In der zweiten Sitzreihe ist ebenfalls ausreichend Platz vorhanden, um Freunde oder Familienmitglieder mit überraschend viel Kopffreiheit zum Ziel zu befördern.
Die Gänge werden im Kia Niro EV nicht über einen Drehschalter hinter dem Lenkrad, sondern über ein kleines Rad an der Mittelkonsole eingelegt. Die Bedienung geht schon nach wenigen Tagen ins Blut über, sodass ein Hinsehen nicht mehr notwendig ist. Beim Rückwärtsfahren macht der Wagen über ein dezentes Bimmeln gegenüber Fußgängern und Radfahrern in der direkten Umgebung auf sich aufmerksam. Zudem zaubert die serienmäßige Heckkamera ein Live-Bild auf das 10,25 Zoll große Infotainment-Display, das nahtlos in das volldigitale Kombiinstrument gleicher Größe übergeht.
Navigationssystem mit Schwächen
Das Infotainment-Display dient auch als Navigationssystem; sieben Jahre lang sind Navigationskarten-Updates inklusive. Es bietet auf besonders einfache Art und Weise mit nur einem Fingertipp die Möglichkeit, nach Ladestationen in der Umgebung zu suchen – bei Bedarf sogar auf vielfältige Weise filterbar. Zum Beispiel nach Ladegeschwindigkeit oder Ladestrom-Anbieter.
Besonders viel Freude bereitet das Navigationssystem über das aufpreispflichtige Head-up-Display. Dann findet man als Fahrer visuell unterstützt im direkten Blickfeld auf die Windschutzscheibe garantiert die richtige Ausfahrt. Blind der Navi-Stimme zu vertrauen, ist hingegen keine gute Idee. Öfter sind die Kommandos nicht eindeutig genug oder verwirren sogar. Drei Beispiele, die uns im Test aufgefallen sind:
- An einer Ampelkreuzung auf der Landstraße erhielten wir das Kommando, wir mögen uns geradeaus halten, um dann links abzubiegen. Stattdessen wäre es aber richtig gewesen, direkt an der Ampel die Linksabbiegespur zu nutzen.
- Unterwegs auf einer Landstraße signalisierte die Navi-Stimme, rechts auf die Autobahn A31 abzubiegen. Das korrekte Kommando hätte lauten müssen, rechts auf eine weitere Landstraße abzubiegen, die in Richtung der A31 führt.
- Auf der Autobahn wies das Kia-Navi an, die Autobahn in Richtung Köln zu verlassen. Dabei war die Navigation so eingestellt, dass es nördlich in Richtung Bremen gehen sollte.
Autobahn-Assistent lässt entspanntes Fahren zu
Umso erfreulicher ist es, dass der Autobahn-Assistent das Fahren auf der Autobahn gleichermaßen sicher wie komfortabel macht. Denn der Stromer überzeugt nicht nur mit einer sehr direkten Lenkung, sondern hält auch von selbst die Spur und erkennt Verkehrsschilder automatisiert, um die Geschwindigkeit entsprechend anzupassen. Zudem wird immer der notwendige Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten. Auf diese Weise ist der Kia Niro EV zwar nicht komplett autonom unterwegs, leistet aber seinen Beitrag zu weniger stressigem Autofahren. Einen Spurwechselassistenten gibt es nur gegen Aufpreis.
Vorn steht im Innenraum neben einem USB-A-Anschluss auch ein USB-C-Anschluss zur Verfügung. So lassen sich auch Android Auto und Apple CarPlay nutzen. Auch eine Qi-fähige Ladestation mit bis zu 15 Watt ist Teil der Serienausstattung. Für Passagiere in der zweiten Sitzreihe ist in den Fahrer- und Beifahrersitz je ein weiter USB-Anschluss integriert. Mittig unter der Sitzbank im Fond zudem eine 230-Volt-Steckdose zu finden. Ideal, um unterwegs zum Beispiel für mobiles Arbeiten ein Notebook anzuschließen. Allerdings ist sie nur nutzbar, wenn man sich für das DriveWise-Advanced-Paket (P2 / +1.590 Euro) entscheidet.
Gegen Aufpreis ist der Kia Niro EV sogar mit einer Vehicle-To-Load-Funktion ausgestattet. Dann versorgt das Auto andere elektrische Geräte unter Zuhilfenahme eines Adapters über seinen Ladeanschluss mit Storm. Maximal mit 3 kW Ladeleistung sind möglich.
Verbrauch des Kia Niro EV im Check
Überrascht hat uns im Test des Kia Niro EV insbesondere der niedrige innerstädtische Verbrauch. Hier spielt dem Kompakt-SUV sein vergleichsweise geringes Gewicht von etwa 1,8 Tonnen in die Karten. Auf zwölf von uns protokollierten Fahrten erreichen wir im besten Fall bei defensiver Fahrweise einen Verbrauch von nur 12,9 kWh/100 km. Dabei hatten wir immer die zweitstärkste Stufe der in Summe vier auswählbaren Stufen der Energierückgewinnung (Rekuperation) eingestellt – auswählbar über praktische Schaltwippen hinter dem Lenkrad.
Wer das Gaspedal etwas weniger rücksichtsvoll tritt, kann den Verbrauch aber auch schnell auf 19 oder 20 kWh/100 km steigern. Im Schnitt erreichten wir im Stadtverkehr einen durchschnittlichen Verbrauch von nur 15,6 kWh/100 km. Gut gefallen hat uns auch, dass in der höchsten Rekuperationsstufe bequemes 1-Pedal-Fahren möglich ist. Der Wagen verzögert dann ohne Betätigung des Gaspedals so stark, dass er in den meisten Fällen ganz ohne Nutzung der Bremse bewegt werden kann.
Auch im Regionalverkehr auf der Landstraße liegt der Stromverbrauch des Kia Niro EV auf einem überschaubaren Niveau. In unserem Test bei durchschnittlich 16,4 kWh/100 km. Deutlich nach oben schnellt der Strombedarf aber auf der Autobahn. Im Schnitt haben wir auf der Langstrecke einen Verbrauch von 23,3 kWh/100 km gemessen. Bei ungünstigen Witterungsbedingungen, etwa bei starkem Gegenwind, kann er aber auch auf knapp 30 kWh/100 km steigen.
In Summe war es uns auf der Langstrecke möglich, 320 Kilometer mit einer Akkuladung zu meistern. Dabei sind wir nur während Überholvorgängen schneller als 130 km/h gefahren. In der Spitze ist eine Höchstgeschwindigkeit von 167 km/h möglich. Die von Kia ausgewiesene WLTP-Reichweite von bis zu 460 Kilometern ist allenfalls im Stadtverkehr mit hoher Rekuperationsleistung zu erreichen.
Problem: Enttäuschende Ladeleistung
Leider wird der niedrige Verbrauch aber von einer mauen Ladeleistung torpediert. Deswegen ist der Kia Niro EV laut unserer Einschätzung für den Stadt- und Nahverkehr super geeignet, auf der Langstrecke aber eher weniger. Zwar lädt der kompakte SUV an AC-Wechselstrom-Ladesäulen und an der heimischen Wallbox dreiphasig über den On-Board-Charger mit bis zu 11 kW. An einer DC– oder HPC-Gleichstrom-Ladesäule ist aber schon bei maximal 80 kW Schluss.
Und diese maximale Ladeleistung ist auch nur kurzzeitig unter optimalen Bedingungen zu erreichen. Im Test sind wir vorübergehend auf maximal 72 kW gekommen. Eher ist aber eine Ladeleistung zwischen 60 und 70 kW die Regel. An einer 300-kW-Ladesäule mussten so nach einer Autobahnfahrt knapp 59 Minuten vergehen, um den Akku des Niro EV von 11 auf 80 Prozent der maximal möglichen Kapazität zu laden. An einer zweiten Gleichstrom-Ladesäule waren bei 14 Grad Außentemperatur ohne vorherige Langstrecke rund 60 Minuten für eine Aufladung von 21 auf 85 Prozent notwendig.
Weil die Ladeleistung ab circa 65 Prozent stark abfällt, ist selbst an einer Schnellladesäule mitunter viel Geduld gefragt. Und das ist beklagenswert, wenn man möglichst flott zum geplanten Ziel gelangen möchte. Warum Kia dem Niro EV nicht eine Ladeleistung spendiert hat, die zwischen 100 und 150 kW liegt – unter anderem der etwas größere Volkswagen ID.4 (Test) macht mit bis zu 135 kW Ladeleistung vor, was möglich ist – bleibt ein Geheimnis der Koreaner. Da hilft auch der auf Knopfdruck in mehrere Liegepositionen einstellbare Beifahrersitz nur bedingt weiter.
Gut gefallen hat uns die Position des Ladeanschlusses. Er ist nämlich an der Front unterhalb der Motorhaube zu finden. Umständliches Rangieren fällt so an den meisten Ladesäulen aus. Stellenweise sind die Kabel an den Ladesäulen aber etwas zu kurz, sodass man leicht versetzt am Ladeplatz parken muss.
Was kostet der Kia Niro EV?
Und der Preis? Weil für den Kia Niro EV ein Netto-Listenpreis von unter 40.000 Euro verlangt wird, kannst du dir bei einem Kauf den vollen Umweltbonus in Höhe von 6.750 Euro sichern. Auf diese Weise sinkt der Kaufpreis von regulär 47.590 Euro auf knapp 41.000 Euro; sieben Jahre Herstellergarantie bis 150.000 Kilometer inklusive. Sieben Farben von Schneeweiß bis Auroraschwarz Metallic stehen bei einem Kauf zur Auswahl.
Fazit zum Kia Niro EV: Sparsamer Crossover-SUV
Zwar ist der Kia Niro EV mit einem Basispreis von knapp 48.000 Euro sicher kein Schnäppchen im Crossover-Segment, aber er überzeugt mit einer umfangreichen Serienausstattung. Die bietet nicht nur eine ungemein komfortable adaptive und navigationsbasierte Geschwindigkeitsregelanlage (einstellbar in 1- und 10-km/h-Schritten), sondern auch viele andere Assistenzsysteme.
Leider trotz seines geringen Verbrauchs im Stadtverkehr wenig überzeugend: die maximale Ladeleistung von 80 kW. Auf der Langstrecke musst du in der Regel etwa eine Stunde einkalkulieren, ehe es mit ausreichend aufgeladenem Akku weitergehen kann. Das ist für ein Elektroauto im Jahr 2023 einfach zu lange. Erst recht bei dem von Kia aufgerufenen Preis.
Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass der Kia Niro EV im Alltag sowohl im städtischen als auch im regionalen Verkehr auf seinen 17 Zoll großen Leichtmetallfelgen eine richtig gute Figur macht. Auch, weil er mit seinem Vorderradantrieb und seinen vier Fahrmodi (Eco / Normal / Sport / Snow) angenehm agil fortzubewegen ist.
Vorteile des Kia Niro EV
- großzügiges Platzangebot
- hoher Fahrkomfort
- geringer Verbrauch in der Stadt und auf der Landstraße
- vier wählbare Fahrmodi
- vier Rekuperationsstufen (1-Pedal-Fahren ist möglich)
- Frunk mit 20 Liter zusätzlichem Stauraum
Nachteile des Kia Niro EV
- nur mäßige Gleichstrom-Ladeleistung (max. 80 kW)
- für große Menschen etwas unbequeme, zu flach stehende Sitze
- Navigationssystem mit teils ungenauen Ansagen
- recht hoher Preis
Hinweis: Der Kia Niro EV wurde unserer Redaktion im März 2023 für die Dauer von zwei Wochen kostenlos vom Hersteller zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.
Der Kia Niro EV überzeugt mich fast auf ganzer Linie. Nicht nur, weil er optisch gegenüber seinem Vorgänger deutlich moderner wirkt, sondern auch weil sich das Platzangebot verbessert hat. Warum sich Kia aber ausgerechnet bei der Ladeleistung zurückhält, ist für mich ein großes Rätsel. Mit etwa 120 kW DC-Ladeleistung würde der neue Niro EV insbesondere auf der Langstrecke eine sehr viel bessere Figur machen. So aber muss es für den Stromer Abzüge in der A-Note geben, die eigentlich nicht sein müssten. Unter dem Strich bleibt aber die Erkenntnis, dass der Kia Niro EV eine gehörige Portion Ausstattung zu einem fairen Preis bietet.