Bevor es losgeht: Ich teile diese Kritik in zwei Teile. Der Erste kommt ganz ohne Spoiler aus. Ich gehe stark davon aus, dass du vielleicht noch nicht alle Folgen der neuen Staffel gesehen hast, die am 10. April gestartet ist. Im zweiten Teil wird es dann konkreter. Bevor ich ins Detail gehe, gibt’s natürlich eine dicke Spoilerwarnung. Danach spreche ich über die Folgen, die mich am meisten gepackt haben – und warum.
Ach, Black Mirror! Seit der ersten Staffel bin ich großer Fan dieser britischen Anthologie-Serie von Charlie Brooker. Und wie das oft ist bei Herzensdingen: Die Erwartungen sind hoch, die Fallhöhe auch. Zweimal war ich bisher eher enttäuscht. Bandersnatch, der interaktive Film, war für mich bestenfalls okay. Und Staffel 6, die sich (außer Folge 1) ziemlich von den klassischen Sci-Fi-Dystopien entfernt hat, konnte mich auch nicht richtig überzeugen.
Black Mirror: Zahlen und Fakten zur siebten Staffel
Kein Wunder also, dass ich bei der neuen Black-Mirror-Staffel erstmal nervös war. Schafft sie es, an frühere Stärke anzuknüpfen? Oder sind die bissigen Dystopien einfach Geschichte? So viel kann ich dir schon sagen: Wenn du Charlie Brookers Blick auf die Zukunft mochtest – vor allem in den ersten fünf Staffeln – wirst du mit den neuen Folgen ziemlich sicher auch deinen Spaß haben.
Kurz ein paar Fakten: Die Staffel besteht aus sechs Folgen. Die kürzeste dauert 46 Minuten, die längste bringt es auf stolze 90 – also Spielfilmlänge. Alle Episoden sind ab 16 Jahren freigegeben. Hier kommt der Überblick:
1 Gewöhnliche Leute (Common People)
In der ersten Folge mit 57 Minuten Laufzeit geht’s um die Lehrerin Amanda (Rashida Jones) und ihren Ehemann Mike (Chris O’Dowd), der nach einem schweren Unfall seiner Frau mit einer radikalen Entscheidung konfrontiert ist. Die Vertreterin des Tech-Unternehmens Rivermind, Gaynor (Tracee Ellis Ross), bietet ihnen ein innovatives – aber kostspieliges – Gesundheitssystem an. Für mich fühlt sich die Folge wie ein sanfter Seitenhieb auf Netflix selbst an. Wenn du sie gesehen hast, weißt du wahrscheinlich, was ich meine.
Für mich war das direkt der Eisbrecher. Nach der sechsten Staffel hat mich Black Mirror hier sofort wieder abgeholt. Diese Stärke, realistisch Denkbares weiterzuspinnen und ins Düstere zu kippen – genau das kann Charlie Brooker einfach.
2 Bête Noire (Bête Noire)
In Folge zwei (50 Minuten) steht Maria (Siena Kelly) im Mittelpunkt, eine erfolgreiche Forschungsleiterin, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird – und zwar durch Verity (Rosy McEwen), eine alte Klassenkameradin, die plötzlich wieder auftaucht. Was folgt, ist eine ruhige, psychologisch dichte Geschichte über Erinnerung, Schuld und das, was wir verdrängen.
Kurz dachte ich: Oh nein, jetzt wird’s wieder übersinnlich. Aber zum Glück bleibt die Folge auf dem Boden. Für mich nicht ganz so stark wie die Erste, aber trotzdem sehenswert.
3 Hotel Reverie (Hotel Reverie)
Hotel Reverie (77 Minuten) ist eine visuell tolle Folge über die Schauspielerin Brandy Friday (Issa Rae), die plötzlich in einem KI-gestützten Schwarz-Weiß-Film landet – und dort die Hauptrolle spielt. Technik trifft Kino-Nostalgie, und das auf echt gelungene Weise.
Gerade jetzt, wo KI unsere Kunstwelt aufmischt, hat die Folge einen besonderen Reiz. Ich war echt froh, dass man sich für diese Geschichte Zeit genommen hat – sie wirkt einfach rund und schön durchkomponiert.
4 Spielzeug (Plaything)
In der kürzesten Folge der Staffel (46 Minuten) lernen wir Cameron kennen – gespielt von Peter Capaldi als älterer, und Lewis Gribben als jüngerer Mann. Er ist ein verschrobener Typ mit einer Vorliebe für alte Videospiele, und genau da führt uns die Geschichte hin – in eine virtuelle Welt, die ein paar Überraschungen bereithält. Fans von Bandersnatch könnten einen bekannten Charakter entdecken, aber keine Sorge: Das hier ist keine direkte Fortsetzung.
Kleiner Bonus: Netflix hat das dazugehörige Spiel sogar kostenlos veröffentlicht. Mehr dazu erzähl ich dir unten im Spoilerteil.
5 Eulogy (Eulogy)
Diese Folge (47 Minuten) trifft dich vielleicht da, wo’s ein bisschen weh tut. Paul Giamatti spielt Phillip, einen zurückgezogenen Mann, der mithilfe einer Technologie seine Erinnerungen noch einmal durchlebt – vor allem die an eine verlorene Liebe. An seiner Seite: Patsy Ferran, die ihn als empathische Begleiterin durch diesen Prozess führt.
Mich hat Eulogy nicht nur technisch beeindruckt. Die Folge hallte nach – nicht nur, weil sie eine Zukunft zeigt, die greifbar wirkt, sondern weil sie auch sehr menschlich ist. Für mich jedenfalls die emotionalste Folge der Staffel.
6 USS Callister: Willkommen bei Infinity (USS Callister: Into Infinity)
Und zum Abschluss gibt’s ein Wiedersehen: USS Callister: Into Infinity (90 Minuten) knüpft an die gleichnamige Folge aus Staffel 4 an – und das ziemlich direkt. Captain Nanette Cole (Cristin Milioti) ist zurück, ebenso Jimmi Simpson als Teil der Crew. Die Handlung? Wieder geht’s in ein digitales Universum, wieder steht das Überleben auf dem Spiel.
Ich geb zu: Mich hat die Folge nicht so gepackt wie die anderen fünf. Hab ich mit der jetzt optisch aufgedonnerten USS Callister dennoch meinen Spaß gehabt? Aber locker!
Wenn das zum Anheizen noch nicht gereicht hat – wirf einen Blick auf den Trailer:
Black Mirror: Mein spoilerfreies Resümee zur siebten Staffel
Also ja: Charlie Brooker und sein Team haben sich die viele – und stellenweise auch ziemlich laute – Kritik an Staffel 6 definitiv zu Herzen genommen. Die Antwort darauf? Sechs neue Folgen, von denen es für mich mindestens drei direkt in die Top-Liste meiner liebsten Black Mirror-Episoden schaffen. Klar, vielleicht reichen sie nicht ganz an absolute Highlights wie San Junipero (Staffel 3, Folge 4) oder Be Right Back (Staffel 2, Folge 1) ran. Aber ehrlich: So weit entfernt sind sie nicht.
Was Black Mirror so besonders macht, ist dieses Ding, dir einen technologischen Gedanken ins Gehirn zu pflanzen – und der bleibt da einfach. Weil du oft erkennst: Hey, das hier ist gar nicht so weit weg. Manches gibt’s heute schon, anderes ist in greifbarer Nähe. Und Brooker denkt das Ganze dann einfach einen oder zwei Schritte weiter – und zwingt dich, über die Konsequenzen nachzudenken. Die technischen – und die menschlichen.
Auch diese Staffel bleibt in weiten Teilen dystopisch. Aber ich finde, dass ein paar der Folgen dich trotzdem mit einem warmen Gefühl zurücklassen. Nicht kitschig, aber irgendwie menschlich. Eulogy ist da ein gutes Beispiel. Schau sie dir an – und ich wette, du denkst nicht nur über Technologie nach. Sondern auch über Menschen, die mal wichtig für dich waren.
Achtung, Spoiler! Diese Folgen catchten mich besonders
So, ab hier gilt: Spoiler-Alarm! Wenn du die neuen Folgen noch nicht gesehen hast, lies besser später weiter. Ich gehe jetzt nämlich auf vier Episoden etwas genauer ein: Gewöhnliche Leute, Hotel Reverie, Plaything und Eulogy.
Gewöhnliche Leute
Zu Gewöhnliche Leute halte ich mich diesmal noch etwas zurück – da kommt noch ein separater Text, versprochen (kleiner Meta-Spoiler im Spoiler-Teil, sorry not sorry).
Trotzdem: Die Folge hat mich echt erwischt. Manchmal sind es nicht die lauten, düsteren Zukunftsvisionen, die am meisten erschrecken. Sondern genau solche Geschichten wie diese, die sich klammheimlich in die Gegenwart schleichen. Common People ist genau so eine Episode: eine, die zwar auch „Was wäre wenn?“ fragt, zusätzlich aber auch mit der Geschmacksrichtung „Ist das nicht längst Realität?“ den Finger in die Wunde legt.
Die große Frage: Würdest du jemanden, den du liebst, über ein teures Abo-Modell am Leben erhalten? Amanda und Mike haben kaum Geld, aber versuchen alles, um das 300-Dollar-Abo zu stemmen. Als es nicht mehr reicht, fällt Amanda ins Basis-Modell zurück. Sie hat nur eine eingeschränkte Reichweite – und sagt unwissentlich Werbebotschaften in den unpassendsten Momenten auf.
Auffällig ist die erschreckende Nähe zu aktuellen Entwicklungen im digitalen Gesundheitsmarkt. Leben wir länger, wenn wir reich sind? Wie gesagt, dazu an anderer Stelle nochmal mehr. Aber es erinnert mich auch fatal an Abomodelle wie bei Netflix selbst. Reicht mir die günstige Version mit Werbung? Wird ein einst gutes Modell dadurch entwertet, dass ein besseres oben drauf gestülpt wird? Wie eingangs erwähnt, ist das für Netflix ein ähnlich schöner Tritt in den Allerwertesten, wie es auch Joan is Awful in der letzten Staffel bereits war. (Zur Folge Joan is Awful haben wir damals eine Podcast-Folge in der Casa Casi aufgenommen. Hör doch gerne mal rein, wenn wir über die gruselige Zukunft des Streamings sprechen.)
Genau hier ist Black Mirror für mich am stärksten. Wenn es nicht nach Science-Fiction aussieht, sondern wie etwas, das du morgen im echten Leben erlebst. Die Folge stellt Fragen, die hängen bleiben: Wie viele Lebensbereiche hast du eigentlich schon, in denen Abos eine Rolle spielen? Und was passiert, wenn du irgendwann aus dem System fällst?
Hotel Reverie
Kaum eine Folge der neuen Staffel spielt so gekonnt mit unserer Medienfixierung wie Hotel Reverie. KI hält Einzug in unser Leben – und zwingt uns dazu, neu über Kunst nachzudenken. Werden Schauspieler:innen überhaupt noch gebraucht? In dieser Geschichte jedenfalls nicht unbedingt. Denn Brandy Friday, eine prominente Schauspielerin, steigt einfach in einen alten Liebesfilm ein. Alle anderen Figuren dort sind KIs, mit denen sie interagiert.
Hält sie sich nicht ans Skript, nimmt die Story plötzlich eine andere Wendung. Aus dem Off bekommt sie dann von sogenannten Spin Doctors neue Anweisungen.
Doch Brandy verliert nach und nach die Kontrolle über die Handlung. Das System stürzt ab – und sie kann erst dann wieder zurück in die reale Welt, wenn der Film mit dem entscheidenden letzten Satz endet. Bis dahin steht alles still. Nur sie und ihr Gegenüber Clara können sich noch bewegen.
Aus dieser Not heraus erklärt Brandy der verwirrten Frau, dass sie gar nicht wirklich Clara ist. Sondern nur von der Schauspielerin Dorothy gespielt wird. Und ja – du kannst dir sicher vorstellen, was das mit Clara macht. Sie nimmt es zuerst nicht ernst. Dann erinnert sie sich plötzlich. An ihr früheres Leben. Daran, dass sie Dorothy war. Und dass sie längst tot ist.
Die Idee, dass Erlebnisse algorithmisch auf maximale Emotionalität hin getrimmt werden, trifft einen Nerv. Nicht nur in Sachen Streaming – sondern auch, was unser eigenes Leben angeht. Ich hab nach der Folge lange darüber nachgedacht, wie oft ich selbst versucht habe, den perfekten Moment zu erzwingen. Auf Reisen. Auf Konzerten. Beim Schreiben. Und wie seltsam sich das manchmal anfühlte.
Hotel Reverie erinnert uns daran, dass nicht alles, was nach Story klingt, auch wirklich Leben ist.
Die Folge, die übrigens zu großen Teilen in Schwarz-Weiß erzählt wird, hat mich auch deswegen so gepackt, weil sie mich mit der Frage zurücklässt: Wie sieht die Filmwelt von morgen aus? Fällt Hollywood langsam auseinander? Oder erleben wir bald wirklich so eine immersive Zukunft, in der die Traumfabrik sich völlig neu erfindet?
Apropos Traumfabrik: Emma Corrin, die in The Crown Lady Di gespielt hat, übernimmt hier die Rolle der Clara/Dorothy. Und das wirklich herausragend. Bitte bewerft sie mit Preisen.
Plaything
Manche Black Mirror-Folgen entfalten ihre Dystopien über Jahre, manchmal Jahrzehnte. Plaything hingegen wirkt fast wie ein Kammerstück – minimalistisch, aber nicht weniger verstörend. Und vielleicht macht gerade das die Folge so stark. Im Mittelpunkt steht Cameron (Peter Capaldi), ein zurückgezogen lebender Mann, der früher für ein Gaming-Magazin schrieb und so an ein geheimes Spiel namens Thronglets kam.
In diesem Spiel zieht er im Tamagotchi-Stil kleine Kreaturen auf. Diese werden immer klüger, bis sie schließlich eins mit Cameron werden, indem sie über einen Port in seinen Körper implantiert werden. Das Ende? Eine ultimative Dystopie, in der die Menschheit am Ende ganz auf der Strecke bleibt.
Die Folge knüpft an Bandersnatch an, funktioniert aber auch ohne dass man den Film kennt. Was ich besonders cool finde, ist, wie Black Mirror mal wieder voller Easter Eggs steckt – auch hier. Im offiziellen Poster zur Folge findet sich ein versteckter QR-Code. Scannt man ihn, landet man in einem realen Thronglets-Spiel für Android und iOS. Der Artikel hier wäre übrigens früher online gegangen, wenn der Autor dieser Zeilen nicht in diesem Spiel versunken wäre … aber das nur am Rande.
Die Folge ist ein moralisches Laborexperiment: Was schuldet man einem künstlich erzeugten Bewusstsein, das echte Gefühle zeigt? Und: Kann Fürsorge wirklich echt sein, wenn das Gegenüber gar nicht real ist? Der finale Twist – dass diese KI am Ende zur Grundlage einer globalen KI wird – ist einfach Black Mirror pur.
Eulogy
Es gibt Folgen, die einen mit Schockmomenten packen. Und dann gibt es solche, die sich ganz leise und sanft ins Herz schleichen. Eulogy gehört definitiv zur zweiten Kategorie – eine Folge, die sich fast wie ein Science-Fiction-Abschiedsbrief anfühlt. Paul Giamatti spielt einen Mann, der mit Hilfe einer Technologie durch die Erinnerungen seiner verstorbenen Ex-Partnerin reist.
Nach ihrem Tod will ein Unternehmen Erinnerungen an sie sammeln – und hat eine Technologie entwickelt, mit der man quasi in alte Fotos eintauchen kann. Du bewegst dich also durch das Bild, kannst die Perspektive ändern und hoffst, dabei Dinge zu entdecken, an die du dich vielleicht vorher nicht mehr erinnert hast.
Was anfangs wie ein nostalgischer Spaziergang durch ein Leben aussieht, wird schnell zu einer bittersüßen Reise zu unangenehmen Wahrheiten. Erinnerungen sind nämlich nicht nur das, was war, sondern auch das, was wir daraus machen – und was wir verdrängen. Diese Folge hat mich echt tief berührt. Vielleicht, weil sie weniger über Technologie spricht als über das Menschlichste überhaupt: Wie schwer es ist, loszulassen – und wie sehr wir trotzdem weiter daran festhalten wollen.
Wenn du die Staffel durch hast, denk vielleicht mal darüber nach, ob es Menschen aus deiner Vergangenheit gibt, bei denen du vielleicht nochmal anklopfen solltest. Um Dinge zu klären, die du später bereuen würdest, wenn du die Chance dazu nicht mehr hättest.
Ich bin nach dieser Staffel echt happy, weil Black Mirror wieder zur alten Stärke, wie in den dritten und vierten Staffeln, zurückfindet. Würde ich Serien bewerten, hätte ich definitiv 4,5 Sterne von 5 gegeben. Eine Sache ist mir aber auch bewusst geworden: Seit wir alle mit ChatGPT und den Möglichkeiten der KI viel mehr konfrontiert werden, schaut man auf die Folgen nochmal ganz anders. Ich überlege jedenfalls, die alten Folgen unter diesem Blickwinkel nochmal zu bingen.