Die letzte Heizsaison alarmierte wie niemals zuvor in ganz Europa. Rund 47 Millionen Menschen konnten sich im vergangenen Winter in der EU, der Schweiz und in Norwegen nicht leisten, ihr Zuhause angemessen zu heizen. Das entspricht rund 10,2 Prozent der gesamten Bevölkerung. Ein drastischer Anstieg, denn noch im Jahr 2021 belief sich diese Zahl auf 31 Millionen. Dabei sind die Zahlen jedoch nicht in den kalten, sondern vor allem in den wärmeren Regionen in Europa besonders hoch. Auch in Deutschland sind Millionen von Menschen durch die gestiegenen Heizkosten von einer Energiearmut betroffen.
Viele Menschen leiden unter hohen Heizkosten
Die Organisation Corrective.Europa hat Daten zum Heizverhalten in Europa veröffentlicht. Die Entwicklung ist dabei europaweit erschreckend. Nicht nur, dass seit 2021 rund 14 Millionen mehr Menschen sich nicht im Winter angemessen wärmen können. Regional zeichnen sich starke Unterschiede ab, teilweise sind bis zu 30 Prozent der Bevölkerung betroffen. Fachleute sehen dabei drei große Faktoren, die die sogenannte „Energiearmut“ begünstigen: hohe Energiekosten, ein geringes Einkommen sowie unsanierte Gebäude. Sie sorgen europaweit für Probleme, häufig sind vorwiegend Geringverdiener und Alleinerziehende am härtesten betroffen. Seit 2020 haben sich die europäischen Energiepreise stark erhöht. 2024 etwa kostete Erdgas rund doppelt so viel wie noch vor vier Jahren.
Der höhere Energiebedarf nach Ende der Pandemie sorgte bereits für einen Preisanstieg, Russlands Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 sorgte zudem für eine europaweite Energiekrise. Die hohen Preise treffen dabei nicht nur auf die Inflation, die zusätzlich für teurere Lebenshaltungskosten sorgt. Wie der Arbeitsmarktbericht der Europäischen Kommission von 2024 feststellt, sind auch die Reallöhne in der EU im Vergleich zu 2019 um 1,1 Prozent gesunken. Höhere Preise treffen somit auf geringere finanzielle Mittel. Gerade für Geringverdiener und Alleinerziehende, die bereits vorher jeden Euro umdrehen mussten, verschlimmert das die Situation erheblich. „Viele Menschen in Europa müssen sich inzwischen entscheiden, ob sie essen oder heizen“, sagt Global Public Health Dozentin Aravinda Guntupalli, die an der University of Aberdeen die Energiearmut und ihre Ursachen erforscht.
Dauerhaft kaltes Heim ist ein Gesundheitsrisiko für Menschen
Dabei ist ein kaltes Zuhause keine Kleinigkeit, sondern ein Gesundheitsrisiko, sagt Boris Kingma, Thermophysiologe der niederländischen Organisation für angewandte wissenschaftliche Forschung. „Man kann sich zwar mit Kleidung vor Kälte schützen, doch wenn der Wohnraum nicht geheizt wird, kann sich der Körper nicht mehr von der Belastung durch die dauerhafte Kälte erholen.“ Daher weisen Menschen in kalten Wohnungen und Häusern ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte, chronische Atemwegsinfektionen sowie psychische Erkrankungen auf. Diese können nicht nur alle zu einer Arbeitsunfähigkeit und einer verminderten Lebensqualität führen, sondern im schlimmsten Fall sogar zu einem vorzeitigen Tod. „Nicht heizen zu können, sollte ernst genommen werden“, sagt Kingma. „Nicht nur im Bezug auf die Gesundheit von Millionen von Menschen, ab einem bestimmten Punkt ebenso wegen der Wirtschaft eines Landes – oder eben ganz Europa.“
Lebenshaltungskosten zählen EU-weit zu den größten Sorgen der Menschen
Gerade die gestiegenen Lebenshaltungskosten beschäftigen EU-Wähler in ganz Europa. „Die Leute sind frustriert. Das kann zu politischer Unzufriedenheit führen, Misstrauen in Parteien und letztlich zu Instabilität“, sagt Guntupalli. In einigen Staaten führten die hohen Lebenshaltungskosten bereits zu Protesten. Die Ergebnisse der Recherchen von Correctiv.Europe verdeutlichen, dass Handlungsbedarf besteht. Nicht jeder zehnte Mensch in Europa sollte darum bangen müssen, ob er sich weiterhin Lebensmittel leisten oder sein Heim erwärmen kann. Besonders stark durch die Energiearmut betroffen sind vorwiegend Regionen in den wärmeren Teilen Europas, darunter Gebiete in Spanien, Griechenland, Portugal, Bulgarien, Italien und Litauen. In den warmen Ländern fehlt es häufig an der nötigen Infrastruktur in Gebäuden, in Osteuropa hingegen erweisen sich Gebäude als schlecht isoliert.
Dabei zeichnet sich schon heute ab, dass in den kommenden Jahren Heizkosten und Tanken in der EU noch teurer werden. Ab 2027 wird EU-weit ein noch höherer CO₂-Preis fällig, gleich mehrere Studien sagen voraus, dass die Preise von hundert bis hin zu mehreren hundert Euro pro Tonne CO₂ bis 2030 ansteigen könnten. Ganz gleich ob in Frankreich, Spanien, Portugal, Deutschland, Italien oder jedem anderen Land in Europa. Die Politik muss tätig werden, um diesem Trend effektive Mittel entgegenzusetzen. Vorerst bleibt vielen Menschen und damit auch dir nur eines zu tun: Jeden Cent sparsam ausgeben, um die hohen Kosten stemmen zu können.