Durch den Klimawandel häufen sich auftretende Wetterextreme in Deutschland. „Schäden in Milliardenhöhe sind vorprogrammiert“, warnt die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach in der Tagesschau. Die GDV setzt sich gezielt für einen Neubaustopp in gefährdeten Regionen ein und verlangt mehr Präventionsmaßnahmen. Die von den Bundesländern geforderte Pflichtversicherungslösung genügt aus Sicht der Versicherer nicht als ausreichender Schutz gegen die Gefahren des Hochwassers. Ohne geeignete Maßnahmen bleiben hunderttausende Adressen durch Hochwasser gefährdet.
Die meisten Adressen liegen in bekannte Überschwemmungsgebieten
Während ein Großteil der Adressen in bereits identifizierten Überschwemmungsgebieten liegt, findet sich jede Fünfte in einer sogenannten Hochwassergefahrenfläche. Hochwassergefahrenflächen werden amtlich anders behandelt als ebenfalls amtlich festgesetzte Überschwemmungsgebiete. Während in Überschwemmungsgebieten bestimmte Bauvorhaben verboten sind oder einer speziellen Überprüfung bedürfen, gilt das für Hochwassergefahrenflächen nicht. Weder müssen Bauvorhaben hier genauer untersucht werden, noch ein spezielles Genehmigungsverfahren durchlaufen, dass die Gefahren von Hochwasser berücksichtigt. Zwar gibt der Gesetzgeber Hinweise, es existieren jedoch keine Sanktionen, wenn diese nicht befolgt werden. Die von der GDV in Auftrag gegebene Studie enthüllt darum, wie groß „die Hochwassergefahr in den Regionen und welches Katastrophenpotential dadurch entstanden ist“, so der GDV. Die Versicherer fordern einen Neubaustopp in den gefährdeten Gebieten. Aus Sicht der GDV lassen die bisherigen Regelungen zu viele Ausnahmen zu. Dabei sei es gefährlich, dass innerhalb von Überschwemmungsgebieten weiter Bauland ausgewiesen wird und somit stetig neue Gebäude entstehen.
Entstehen weitere Bauten in den gefährdeten Gebieten, steigt das Risiko für Milliardenschäden durch die zunehmenden Wetterextremen. Der Verband verlangt darum von Bund, Ländern und Kommunen, die Präventionsmaßnahmen für Gebäude in Risikogebieten voranzutreiben und auch die benötigte Finanzierung dafür zur Verfügung zu stellen. Eine Pflichtversicherung, wie sie die Bundesländer für die Gebiete fordern, kann nicht die alleinige Lösung des Dilemmas darstellen. Zusätzlich zu der gesamten Anzahl an gefährdeten Gebäuden untersuchte der GDV auch, wo die betroffenen Gebiete in Deutschland liegen. Von 22,4 Millionen untersuchten Adressen sind glücklicherweise nur rund 1,5 Prozent durch das Hochwasser gefährdet. Dennoch zeigen sich lokal deutliche Unterschiede. Der größte Anteil an gefährdeten Adressen liegt dem GDV zufolge in Sachsen. Rund 3,56 Prozent der betroffenen Gebäude finden sich in diesem Bundesland. Dicht gefolgt von Thüringen mit einem Anteil von rund 3,3 Prozent sowie Rheinland-Pfalz mit 2,6 Prozent. Die am wenigstens betroffenen Bundesländer stellen Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin dar.
Tausende Neubauten entstehen mitten in Überschwemmungsgebieten
Der GDV nennt ebenfalls konkrete Zahlen zu der Anzahl an Neubauten in Überschwemmungsgebieten. Demnach ist ihr Anteil an allen neuen Wohngebäuden seit dem Jahr 2000 sogar leicht angestiegen. Jährlich entstanden in Deutschland zwischen 1.000 und 2.400 neue Wohngebäude in Risikogebieten. Verantwortlich dafür seien vorrangig die zahlreichen Ausnahmeregelungen im Baurecht. Das Bauverbot in Überschwemmungsgebieten basiert auf §78 des Wasserhaushaltsgesetzes. Doch ebendieses Bauverbot sieht nach Ansicht der GDV mit gleich neun Ausnahmen zu viele Möglichkeiten vor, das Verbot zu umgehen. Eine dieser Möglichkeiten ermöglicht es etwa, den Verlust von „Hochwasserrückhalteraum“ an anderer Stelle auszugleichen. Das nützt den Gebäuden innerhalb des Hochwassergebiets bei einer Flut jedoch nichts.
Starkregen nimmt seit den 1950er-Jahren zu
Der Starkregen Mitte Juli 2021 kostete allein in Nordrhein-Westfalen 49 Menschen das Leben. Insgesamt starben in Deutschland 188 Menschen. Zahlreiche Gebäude, Schienen und Straßen wurden zerstört. Die Versicherungswirtschaft bezifferte den gesamten Schaden in Höhe von 8,2 Milliarden Euro in Deutschland. Es wird nicht das letzte Hochwasser sein, das Deutschland ereilt. Allein um Weihnachten bis ins neue Jahr hinein regnete es fast ununterbrochen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Infolgedessen traten viele Flüsse über die Ufer und es kam zu schweren Überschwemmungen in weiten Teilen Deutschlands. Ein entscheidender Grund für den nassen Winter 2023/2024 sehen Experten in der besonderen Jetstream-Lage. Der Jetstream ist ein Starkwindband in etwa zehn Kilometern Höhe.
Üblicherweise bewegt er sich wellenförmig und transportiert Hoch- und Tiefdruckgebiete über die Kontinente. In den Wochen um den Jahreswechsel herum trieb der Jetstream allerdings besonders stark ein Tiefdruckgebiet nach dem anderen vom Nordatlantik in Richtung Osten. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) sprach von einer „Schnellstraße für Tiefdruckgebiete“. Durch die großen Wassermengen in kurzer Zeit konnte der Boden das Wasser nicht mehr aufnehmen und die Flusspegel stiegen an, gefolgt von weitreichenden Überschwemmungen. Wissenschaftler beobachten bereits seit den 1950er-Jahren, dass schwere Niederschläge in den meisten Teilen der Welt häufiger und intensiver werden. Schuld daran ist hauptsächlich der von Menschenhand vorangetriebene Klimawandel. Je wärmer die Luft, desto mehr Wasser kann sie aufnehmen. Bei einem einzelnen Grad Temperaturanstieg kann die Luft bereits sieben Prozent mehr Wasser speichern. Regnet dieses Wasser wieder herunter, geschieht das in Form von Starkregen.