Der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet voran. Doch damit das Ziel gelingen kann, möglichst viel des Energiebedarfs durch die günstigen Energiequellen zu decken, müsste das Netz stärker ausgebaut werden. Ein Stromnetzbetreiber spricht von einem Investitionsbedarf von über 100 Milliarden Euro. Ist unser derzeitiges Stromnetz am Ende seiner Kapazitäten angelangt?
Stromnetz am Ende? So ernst ist die Lage tatsächlich
Immer wieder werden von Netzbetreibern Sorgen darüber geäußert, dass der Netzausbau nicht schnell genug voranschreite, um dem Bedarf der erneuerbaren Energien gerecht zu werden. An manchen Orten dürfen große PV-Anlagen bereits nicht mehr ans Netz genommen werden, um eine Überlastung auszuschließen. Ein großer Ausfall des Stromnetzes, wie manche ihn befürchteten, ist dabei jedoch keineswegs wahrscheinlich. Diese Sicherheitsmaßnahmen und offiziellen Anmeldungen von Anlagen sind gezielt da, um zu verhindern, dass mehr Last auf das Netz trifft als dieses verkraften kann. Selbst wenn ein Bereich durch eine Überlastung ausfällt, kann dieser zum Schutz des restlichen Stromnetzes getrennt werden. Dadurch sind großflächige und langandauernde Blackouts im deutschen Stromnetz unwahrscheinlich. Der Investitionsbedarf ist dennoch real – denn wenn der Netzausbau nicht schnell genug voranschreitet, wird er den Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremsen.
Der Stromnetzbetreiber Tennet nennt hier klare Zahlen und spricht von einem Investitionsbedarf von über 111 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre. Bereits im Jahr 2022 investierte das Unternehmen 4,5 Milliarden Euro in den Netzausbau. Im Jahr 2023 möchte Tennet diese Summe auf mindestens 8 Milliarden steigern, um den Netzausbau schnell genug voranzubringen. Da das Unternehmen jedoch grenzüberschreitend agiert, entfallen die 111 Milliarden Euro Investitionsbedarf nicht nur auf Deutschland, sondern ebenso auf die Niederlande. Laut des Stromnetzbetreibers sind jedoch rund 60 Prozent der Summe allein für Deutschland notwendig, sodass noch immer 67 Milliarden Euro in den Netzausbau fließen müssen. Nach eigenen Angaben gehört Tennet zu den größten Investoren in die europäische Energiewende. Über 21 Milliarden seien bisher in den Ausbau der Netzinfrastruktur investiert worden.
111 Milliarden für Netzausbau – eine dringende Investition
Die Energiekrise hat umso deutlicher gezeigt, wie abhängig Deutschland und andere EU-Staaten von Energieimporten sind. Diese Abhängigkeit müssen wir reduzieren, damit Europa in Zukunft weiterhin eigenständig agieren kann. Insbesondere, weil es in erster Linie die Bevölkerung ist, die bis zum heutigen Tag unter den erhöhten Preisen leidet. Im Norden Deutschlands erzeugen Windkraftanlagen viel Strom. Damit jedoch auch andere Teile des Landes davon profitieren, muss man diesen in andere Regionen transportieren. Sowohl in der Windkrafttechnologie für große Windkraftanlagen als auch bei großen Solarkraftwerken sind die Weichen gestellt, um ordentliche Strommengen zu generieren. Allein der Prototyp der Windkraftanlage SG14-222 DD erzielte kürzlich einen Weltrekord und konnte an einem Tag 359 Megawattstunden Strom erzeugen. Die Leistung dieses Windrades allein könnte eine Familie für 100 Jahre mit Strom versorgen.
Doch die beste Stromgenerierung nützt uns nichts, wenn man den Strom dabei nicht an die Orte transportiert, wo man ihn benötigt, sowie ausreichend große Speicheranlagen bereitstellt. Windkraft und Solarenergie sind täglichen Schwankungen unterlegen. Denn weder der Wind bläst täglich mit gleicher Stärke, noch fällt jeden Tag gleichviel Sonnenlicht auf die Solarmodule. Damit die Energiewende gelingen kann und Deutschland in Zukunft nicht länger unter explodieren Strompreisen leidet, ist die Investition in das Stromnetz unvermeidbar. Als nächste Herausforderung strebt Tennet an, in den nächsten Jahren 40 Gigawatt an Offshore-Windenergiekapazität in den Niederlanden und in Deutschland anzuschließen. Das entspräche einer installierten Leistung von rund 40 Atomkraftwerken und könnte somit viel günstigen Strom für beide Länder liefern.
Deutschland soll Miteigentümer bei Tennet werden
Völlig allein will das Unternehmen die Investitionskosten jedoch nicht schultern. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Unternehmen eine hundertprozentige Tochter der Tennet Holding mit Sitz in den Niederlanden. Diese gehört vollständig dem niederländischen Staat. Doch aufgrund der hohen Investitionskosten strebt Tennet einen Verkauf an die deutsche Regierung an. Die Gespräche über einen Einstieg des Bundes bei Tennet haben erst im vergangenen Jahr begonnen. Bisher waren die Gespräche laut Tennets Finanzchefin Arina Freitag jedoch „sehr konstruktiv“. Zentraler Punkt für eine erfolgreiche Einigung sei ein „fairer Marktpreis“. Mit Deutschland als Anteilseigner würden sich Türen und Tore für ein besseres Kredit-Rating des Unternehmens öffnen. Die dadurch sinkenden Finanzierungskosten könnten entscheiden sein, um den stagnierenden Netzausbau in Deutschland endlich voranzubringen.