„Das Komplizierte ist nicht, Glasfaser im Bürgersteig zu verlegen“ – Interview zur Glasfaser-Lage in Deutschland

7 Minuten
Der Glasfaser-Ausbau in Deutschland läuft und kommt trotzdem nicht voran. In gerade einmal 8 Millionen Haushalten liegt die Leitung. Woran liegt das? Der Chef von NetCologne gibt Antworten im Exklusiv-Interview mit inside digital.
Glasfaser-Leerrohr
Glasfaser-LeerrohrBildquelle: Thorsten Neuhetzki / inside digital

NetCologne zählt nach eigenen Angaben im Rheinland eine halbe Million Privatkunden und verfügt über 29.000 Kilometer verlegte Kabel – darunter auch viel Glasfaser. Als einer der wenigen Anbieter am Markt verfügt NetCologne nicht nur über DSL und Glasfaser-Anschlüsse, sondern auch über Kabel-TV-Infrastruktur. Das Unternehmen wurde bereits in den 1990ern gegründet. Geschäftsführer ist seit 2016 Timo von Lepel, der seit 2019 auch die Geschäfte der Stadtwerke Köln führt. Zuvor war von Lepel unter anderem bei Telefónica Deutschland, Media Broadcast und der Telekom Geschäftskundensparte T-Systems International tätig. Am Rande der Anga Com in Köln sprachen wir mit dem Manager, der auf der Kongressmesse auch auf Podiumsdiskussionen auftrat und Vize-Präsident des Branchenverbandes Anga ist, über den Glasfaserausbau in Deutschland.

„Das Komplizierte ist nicht, Glasfaser im Bürgersteig zu verlegen“

inside digital: Herr von Lepel, Sie sind mit NetCologne seit Mitte der 1990er-Jahre auf dem Markt, haben mit Kabel, VDSL und Glasfaser alle erdenklichen Anschlussarten in ihrem Bestand und spielen im Rheinland eine nicht unerhebliche Rolle im Breitbandausbau. Uns interessiert ihr Blick auf die Branche und den Markt: Wie läuft der Glasfaserausbau in Deutschland?

Timo von Lepel: Wenn wir den aktuellen Kurs weiterverfolgen, werden wir in Deutschland bald eine Spitzenposition in Glasfaser-versorgten Bürgersteigen haben. Mit den Ausbauzahlen, die derzeit von weiten Teilen der Branche in Umlauf gebracht werden, um den scheinbar schnellen Glasfaserausbau zu belegen, machen wir uns leider etwas vor. Denn es geht dabei um die Homes Passed-Anschlüsse, also ein Glasfaser-Netz, das nur bis zum Bordstein verlegt wurde und nicht die Häuser und Wohnungen versorgt.

Wir haben 42 Millionen Haushalte in Deutschland. Wenn wir uns ehrlich machen, sind davon aktuell laut VATM 4,6 Millionen Haushalte Homes Activated und haben einen Glasfaser-Anschluss gebucht. 8,1 Millionen Anschlüsse gelten als Connected, könnten also buchen. Bei allen übrigen muss erst noch eine Leitung bis ins Haus gelegt werden. Das zeigt die Dramatik dessen, wo wir eigentlich stehen. Denn das Komplizierte ist nicht, Glasfaser im Bürgersteig zu verlegen, sondern den Hausstich zu machen und die Netze im Haus auszubauen. In die Häuser und Wohnungen zu kommen, ist pure Diplomatie.

3.200 Euro Anschlusskosten für ein Vier-Familien-Haus

inside digital: Der Ausbau kostet ja auch viel Geld.

von Lepel: Bei einem Hausstich gehen wir von etwa 1.600 Euro aus. Damit sind aber die Wohnungen noch nicht versorgt, hier können Sie von weiteren ca. 400 Euro pro Wohneinheit ausgehen. Das heißt, in einem Mehrfamilienhaus fallen ganz schnell 3.200 Euro an – nur von der Gebäudegrenze bis in Ihre Wohnung. Wenn Sie jetzt bedenken, dass der größte Teil des Ausbaus – nämlich fast 34 Millionen Haushalte – noch bevorsteht, wissen Sie, was wir als Branche zusätzlich investieren müssen.

inside digital: Da liegt noch ein weiter Weg vor Ihnen. Trotzdem fordern Sie und die Branche, das Kupfernetz, also DSL und VDSL, abzuschalten. Wie passt das zusammen?

von Lepel: Wir müssen mit Blick auf die Kostendimensionen, die uns noch bevorstehen, Investoren dazu bekommen, weiter in Glasfasernetze zu investieren. Das bekommen wir aber nur hin, wenn wir das Kupfernetz perspektivisch abschalten. Wenn die Kunden ein Enddatum haben, zu dem DSL und VDSL in ihrer Region abgeschaltet wird, gibt es auch eine höhere Bereitschaft, auf Glasfaser zu wechseln. Aber ganz klar: Dafür muss das neue Glasfasernetz zuerst entsprechend ausgebaut sein.

„Glasfaser heißt ja nicht, dass Sie direkt einen Gigabit-Anschluss buchen müssen“

Timo von Lepel, Geschäftsführer von NetCologne
Timo von Lepel, Geschäftsführer von NetCologne

inside digital: Wenn Sie die Kunden von einer DSL-Leitung auf Glasfaser-Leitungen umstellen, braucht es Anreize, damit die Kunden wechseln.

von Lepel: Ich glaube, wir müssen zuerst einmal die Glasfaser-Diskussion in der Öffentlichkeit sehr viel positiver gestalten. Sie ist aktuell vor allem in den Medien oftmals mit Streit belegt. Besonders wenn es um das Thema Überbau geht. Was wir für die Verbraucher viel stärker hervorheben müssen, sind die positiven Dinge. Internet per Glasfaser ist beispielsweise sehr viel stabiler als über das Kupfernetz oder Kabel. Es hat sehr viel höhere Geschwindigkeiten – und zwar auch im Upload, der immer bedeutender wird. Und natürlich ist auch der Preis entscheidend. Umso stärker die Glasfasernetze ausgelastet sind, um so günstiger können perspektivisch auch die Preise für Kunden werden.

inside digital: Aber ist es nicht so, dass die meisten Kunden nur auf den Preis schauen und mit 50 oder 100 Mbit/s zufrieden sind?

von Lepel: Genau deswegen müssen wir viel deutlicher aufzeigen, wo schon heute die Vorteile einer direkten Glasfaser-Leitung liegen. Glasfaser heißt ja nicht, dass Sie direkt einen Gigabit-Anschluss buchen müssen, den Sie heute noch gar nicht brauchen. Aber jeder Kunde sollte darüber nachdenken, wie oft er heute Probleme mit ruckelnden Streams oder ausgefallenem Internet im Homeoffice hat.

Und dann ist da natürlich auch der Blick in die Zukunft. Vor zehn Jahren hatte kaum jemand eine Leitung mit 50 Mbit/s oder mehr. [VATM: 1,7 Prozent der Anschlüsse mit mehr als 50 Mbit/s] Heute sind es über 60 Prozent der Leitungen mit 50 Mbit/s und mehr. Das macht deutlich, wohin die Reise geht. Wir müssen bei der Entscheidung für eine Glasfaser-Leitung ein stückweit weg von einer Entscheidung im Hier und Jetzt und die Zukunftsbrille aufsetzen. Wir bauen hier eine Infrastruktur für die nächsten Generationen.

DSL-Abschaltung forcieren, wenn 80 Prozent der Haushalte mit Glasfaser versorgt sind

inside digital: Kommen wir zurück auf die Migration von Kupfer auf Glasfaser und die Problematik um Homes Passed. Wenn heute ein Hausstich nicht gemacht wird und das Glasfaser nur im Bürgersteig liegt, was wir dann aus den Wohnungen, in denen es keine Glasfaser-Leitung gibt?

von Lepel: Natürlich brauchen wir Übergangszeiträume. Jene Häuser, die beispielsweise dem Hausstich nicht zugestimmt haben, müssen die Chance erhalten, nachträglich an das Glasfasernetz angeschlossen zu werden. Wir dürfen niemanden vom Internet und Telefon trennen. Genau hier würde aber die Ankündigung einer Abschaltung von DSL den notwendigen Druck ausüben, damit nicht zwei Netze parallel betrieben werden müssen, die im Endeffekt die Kosten hochhalten. Über eine Abschaltung von Kupfer können wir realistischerweise in einem Gebiet nachdenken, wenn wir 80 bis 90 Prozent der Haushalte schon mit Glasfaser ausgebaut haben. Die restlichen Haushalte dann noch anzuschließen, sollte im Zuge einer Übergangszeit kein Problem sein.

Schwierige Zusammenschaltungen zwischen den Netzen

inside digital: Damit sich die neuen Glasfasernetze für Sie und die Investoren rentieren, ist die Auslastung wichtig. Die können Sie durch die Androhung einer Abschaltung von DSL erhöhen, aber auch durch Wettbewerb und andere Anbieter auf der Glasfaser-Infrastruktur. Nicht jeder kennt die lokalen Glasfaser-Anbieter, nicht jeder möchte weg von seinem angestammten Anbieter – sei es 1&1, Telekom, Vodafone oder eine easybell.

von Lepel: Ja, Open Access ist ein wichtiges Thema. Wir bauen unsere Netze bei NetCologne schon mit Open Access und unsere ersten Wholesale Verträge mit der Telekom haben wir bereits vor 12 Jahren geschlossen. Es ist aber auch ein schwieriges Thema, nicht nur vertragsrechtlich. Damit Sie einen anderen Anbieter auf ihr Netz lassen können, sind unglaublich viele Anpassungen und Schnittstellen notwendig, die aktuell für FttH-Anschlüsse neu gebaut werden müssen. Und natürlich müssen auch die dahinter gelagerten Prozesse der jeweiligen Unternehmen abgebildet werden und weiter reibungslos funktionieren.

Wir sprechen hier mitunter von 20 Monaten und mehr, die wir allein an den Schnittstellen arbeiten. Dieser Aufwand lohnt sich nur, wenn große Netze zusammengeschaltet werden und bei einem Vorleistungseinkauf im größeren Stil. Das Thema ist aber ganz klar wichtig und ich gehe davon aus, dass wir es in den nächsten Jahren als Branche gesamtheitlich lösen werden. Die ersten Vereinbarungen laufen ja bereits und die Telekom und auch andere Anbieter werden bald unsere FttH-Leitungen zu ihren Konditionen und unter ihrem Namen vermarkten können.

inside digital: Herr von Lepel, vielen Dank für das Gespräch.

Übrigens: Auch in unserem Podcast „überMORGEN“ ist der Glasfaserausbau in Deutschland Thema. Die neue Folge erscheint am kommenden Donnerstag.

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1 KOMMENTAR

  1. Nutzerbild Softtouch

    „Vor zehn Jahren hatte kaum jemand eine Leitung mit 50 Mbit/s oder mehr.“. Tja, das ist Deutschland. Ich hatte vor 10 Jahren schon 1Gb Glasfaser in den Philippinen.

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