Mobilfunk-Chef im Interview: "Jeder will Mobilfunk, aber kaum jemand will eine Antenne"

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Seit der 5G-Auktion 2019 steht fest, dass Deutschland mit 1&1 einen vierten Mobilfunk-Netzbetreiber bekommt. Doch der Ausbau verlief bisher noch schleppend. Warum das so ist und was sich jetzt ändern soll, darüber haben wir mit dem 1&1-Mobilfunk-Chef Michael Martin gesprochen.
Eine Mobilfunkantenne von 1&1
Eine Mobilfunkantenne von 1&1Bildquelle: 1&1

Michael Martin ist Mitglied des Vorstands von 1&1 und verantwortet den Aufbau und Betrieb des 5G-Netzes. Er ist seit Juni 2021 bei 1&1, aber seit 20 Jahren in der Branche. Dabei war er unter anderem für Österreichs führenden Kommunikationsanbieter A1 (Telekom Austria) und Sunrise in der Schweiz tätig, jeweils auch im Bereich der Netzplanung, Optimierung und dem Ausbau. Auf dem Mobile World Congress (MWC) in Barcelona stellte sich Michael Martin vergangene Woche den Fragen von inside digital. Wie steht es um das neue Mobilfunknetz? Warum ging es so lange so schleppend voran und wie geht es weiter? Das Interview führten die inside digital-Redakteure Thorsten Neuhetzki und Hayo Lücke.

Schwierigkeiten bei Standortsuche war „in dem Ausmaß nicht zu ahnen“

inside digital: Sie sind seit 2021 bei Chef der 1&1 Mobilfunk und somit für den Aufbau des Netzes mitverantwortlich. Wenn Sie auf diese vier Jahre zurückblicken, was war so für Sie das Unerwartetste? Womit haben Sie so überhaupt nicht gerechnet?

Michael Martin: Es ist uns gelungen, in kurzer Zeit eine deutschlandweite Rechenzentrumsinfrastruktur aufzuspannen und in Betrieb zu nehmen: Vier von vier Core-Rechenzentren sind in Betrieb, alle 24 Edge-Rechenzentren und 241 von insgesamt etwa 500 geplanten dezentralen Rechenzentren in der ersten Ausbaustufe. Das 1&1 Mobilfunknetz wird bereits von Millionen Kunden genutzt.

Bei der Migration unserer Kunden in unser eigenes Netz sind wir gut vorangekommen – im März waren bereits mehr als die Hälfte der Nutzer im 1&1 O-RAN. Das freut uns, und belegt, dass sich die neuartige Open RAN-Technologie im Live-Betrieb bewährt.

Weniger reibungslos und weiter oben auf der „Liste der Herausforderungen“ stand das Thema ‘Antennenstandorte sichern’. Dass es gerade bei der passiven Infrastruktur so schwierig würde, war in dem Ausmaß nicht zu ahnen. Da spielt vor allem mit rein, dass unser Hauptlieferant für Funkmasten nicht wie vertraglich vereinbart geliefert hat. Dass der Aufbau einer komplett neuen Netzinfrastruktur kein leichtes Unterfangen ist, war uns aber natürlich klar.

1&1-Mobilfunk-Chef Michael Martin (links) im Gespräch mit Thorsten Neuhetzki und Hayo Lücke (rechts)
1&1-Mobilfunk-Chef Michael Martin (links) im Gespräch mit Thorsten Neuhetzki und Hayo Lücke (rechts)

inside digital: Können Sie das präzisieren?

Michael Martin: Um den heutigen Netzausbau zu verstehen, muss man zunächst erkennen, dass er sich grundlegend von dem vor 25 Jahren unterscheidet. Dies wird oft in der öffentlichen Wahrnehmung unterschätzt. Veränderte Rahmenbedingungen und der gesellschaftliche Wandel spielen dabei eine Rolle und beeinflussen natürlich auch unsere Arbeit. Ein Beispiel dafür ist die Verfügbarkeit von Dachflächen für Funkmasten, wo wir heutzutage mit Photovoltaikanlagen konkurrieren.

Hinzu kommt: Obwohl Mobilfunkantennen zunehmend akzeptiert werden, möchte nicht jeder sie auf seinem Dach haben. Jeder will Mobilfunk, aber kaum jemand will eine Antenne. Und wie bereits erwähnt, gab es sehr große Unzuverlässigkeiten bei der Bereitstellung von Standorten durch unseren größten Partner für die Mitnutzung von Funkmasten, die uns stark gebremst haben. Um das Tempo bei der Erschließung von Standorten hochzuhalten, haben wir uns die Lieferkette sehr genau angesehen und Maßnahmen ergriffen. Konkret heißt das: Wir haben in dem Bereich viel gelernt, uns weiter professionalisiert und eigene Expertise aufgebaut. Inzwischen entwickeln wir neue Funkmasten selbst. Suchen eigenständig neue Standorte, kümmern uns um Planung und Bau. Wir sind jetzt viel tiefer beteiligt, als wir das zunächst geplant hatten. Aber genau das ist jetzt der richtige Weg.

inside digital: Diesen Monat werden Sie jene 1.000 Sendemasten aktiviert und für Kunden nutzbar haben, die schon Ende 2022 hätten aktiv sein sollten. Einen Teil der Gründe für die Verzögerung haben wir gerade gehört. Aber lassen Sie uns mal nach vorne schauen. Was sind für Sie die wichtigen Meilensteine, die Sie in den nächsten ein bis zwei Jahren erreichen wollen bei der 1&1 Mobilfunk.

Michael Martin: Zunächst werden wir die Migration unserer Bestandskunden zeitnah abschließen. Es ist zugleich die größte Migration in der Geschichte des deutschen Mobilfunks. Dazu haben wir uns eng mit den Herstellern abgestimmt, um die Endgeräte durch Softwareupdates bestmöglich auf die Migration vorbereiten zu lassen.

Bis Ende des Jahres werden also alle unsere Kunden das 1&1 O-RAN nutzen. Wir haben jetzt etwa 6 Millionen Kunden migriert, dann werden wir bei über 12 Millionen sein.

Darüber hinaus wollen wir Quartal für Quartal die Ausbauleistung bei neuen Antennenstandorten steigern. Es ist sehr wichtig, dass wir die Auflagen der Bundesnetzagentur einhalten. Auf der anderen Seite ist es mindestens genauso wichtig, den Daten- und Telefonieverkehr unserer Kunden in unserem Netz zu haben. Denn nur, wenn wir den Verkehr unserer Kunden über unser eigenes Netz abwickeln, geht unser Business Case auf. Es ist in unserem ureigensten Interesse, dass wir Frequenzen, Rechenzentren und Software-Lizenzen optimal nutzen und den Zulauf an Sendemasten weiter hochfahren.

Was spricht für den Wechsel zu 1&1?

inside digital: Versetzen Sie sich mal in die Lage eines normalen Kunden. Ich möchte mein Handy einfach nur zum Telefonieren und Surfen nutzen. Warum soll ich mich für 1&1 entscheiden?

Michael Martin: 1&1 steht für ein top Preis-Leistungsverhältnis und einen sehr guten Kundenservice. Damit differenzieren wir uns seit vielen Jahren. In Zukunft ist es unser Ziel, zusätzliche Services zu bieten, die uns zum Beispiel durch Echtzeitfähigkeit abheben. Heute können wir uns noch nicht genau vorstellen, was alles möglich sein wird. Ich empfehle heute Kunden, das beste Preis-Leistungsverhältnis zu wählen. Da sind wir vorne mit dabei.

inside digital: Sie migrieren aktuell pro Tag etwa 50.000 Ihrer Providerkunden von O2 in Ihr eigenes Netz. Hinzu kommen die Kunden, die Sie aktuell über Ihre Discount-Marken und 1&1 neu gewinnen. Ich wüsste nicht, dass es ein so schnelles Kundenwachstum in einem Netz schon einmal gegeben hätte. Hat das Auswirkungen auf das Netz?

Michael Martin: Das stimmt. Wir sind in der Lage, dieses Wachstum gut zu bewältigen und migrieren heute sehr konstant um die 50.000 Tarife pro Tag. Wir haben uns im Jahr 2024 etwas Zeit genommen, bis wir wieder in größerem Umfang Kunden migriert haben, nachdem wir im vergangenen Mai einen größeren Ausfall hinnehmen mussten und aus diesem Grund nochmals alle Redundanzen und Sicherheitsmechanismen doppelt gründlich überprüfen wollten.

Nun stehen alle notwendigen Kapazitäten plus ein ausreichend großer Puffer bereit. In unserem Netz sind sehr viele Komponenten verbaut und wir gehen bewusst nie an die Leistungsgrenzen. So sichern wir ausreichend Kapazität und Redundanzen für alle Fälle.

Wie geht der Netzausbau weiter?

inside digital: Sie sind jetzt bei 1.000 Sendestandorten, haben 5.000 weitere gesichert. Bis Ende 2030 wollen und müssen Sie 12.600 geschafft haben. Was stimmt Sie optimistisch, das zu schaffen?

Michael Martin: Die Erfahrung der vergangenen Quartale stimmt mich zuversichtlich. Der Zulauf unserer fünf Kollokations- und Akquisitionspartner wird spürbar zuverlässiger. Die nächsten 5.000 Sendemasten sind vertraglich gesichert und werden schnellstmöglich entwickelt.

inside digital: Heißt das, Sie sind theoretisch schon früher fertig mit dem angepeilten Netzausbau?

Michael Martin: Wir haben vieles in unserer Struktur geändert, damit es weiter gut voran geht und, um noch besser zu werden. Aber noch sind wir am Aufholen.

inside digital: Wenn wir in einem Jahr wieder hier zusammensitzen: Wo stehen Sie mit Ihrem Netz?

Michael Martin: Die Kunden sind dann alle migriert und wir halten ausreichend Kapazität für viele weitere Millionen bereit.

Ich bin sicher, dass wir dann vermehrt über innovative Anwendungen reden – nicht mehr primär über die Anzahl an Antennenstandorten, sondern über technologischen Fortschritt.

Inside digital: Vielen Dank für das Gespräch!

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