Kommentar: Mögliche Internet-Drossel wegen Corona ist richtig

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Netflix, Youtube, Disney+ & Co reduzieren die Datenrate, die Bundesnetzagentur erlaubt ganz offiziell die Limitierung von bestimmten Diensten und Anschlüssen: Das Coronavirus stellt auch das Internet auf den Kopf. Dabei ist das weltweite Datennetz gerade für viele DIE Lebensader schlechthin. Sind die Maßnahmen richtig? Ja, sind sie. Ein Kommentar.
Blick auf die Server eines Rechenzentrums.
Bildquelle: Pixabay
„Die Netze sind derzeit stabil und gravierende Beeinträchtigungen werden aktuell nicht erwartet.“ Diese Botschaft stammt von der Bundesnetzagentur. „Die Netze sind sicher“, sagen auch die Netzbetreiber. Für die älteren unter uns klingt das wie Norbert Blüms legendärer Satz: „Die Renten sind sicher“. Und genau wie Blüms Satz einst gemeint war, so darf man wohl auch den Zustand der Netze bewerten. Stand jetzt läuft fast alles stabil. Auch Blüm war einst der festen Überzeugung, dass das Rentensystem auf stabilen Beinen steht. Doch es sollte sich anders entwickeln. Niemand weiß, ob das auch unseren Netzen blühen könnte. Deswegen ist es richtig und wichtig, jetzt schon die richtigen Voraussetzungen zu schaffen. Die meisten dürften in den vergangenen Tagen erlebt haben, dass in einer Videokonferenz einzelne Brocken schnell verloren gehen können. Oder dass ein Telefonat plötzlich beendet wird – egal ob im Festnetz oder per Handy. Und was ist mit den überlasteten Telefon-Konferenzsystemen, die es seit der Kita- und Schulschließung und dem damit verbundenen Home-Office gibt? Hier und da wackelt und knarzt es zumindest im Gebälk.

Atypische Nutzung bringt Netze punktuell an die Grenzen

Wichtig dabei zu verstehen: Es ist nicht das Internet, das wackelt. „Das Internet“ hat ausreichend Kapazität. Es sind einzelne Dienste und Systeme. Es sind einzelne Netzzusammenschaltungspunkte. Und es sind einzelne Antennen oder Anschlussbereiche, in denen es Engpässe gibt. Ein Beispiel: In einer Hochhaussiedlung sind die Wohnungen tagsüber oftmals leer. Wer zu Hause ist, der schaut häufig einfach nur Fernsehen. Jetzt aber sind in den Wohnungen Kinder und Teenager vor dem Smartphone, PC und der Spielekonsole zu finden und unzählige Erwachsene im Home-Office. Das sehen die Netzplanungen der Anbieter aber nicht vor. Es ist ihnen auch nicht vorzuwerfen. Wollte man eine solche außergewöhnliche Nutzung vorsehen, wären die Anschlusskosten in Deutschland weitaus höher. Bei den jetzt von der Bundesnetzagentur zugestandenen Maßnahmen im Fall von Netzüberlastungen handelt es sich um mögliche Schritte, die im Fall der Fälle dazu dienen sollen, die Netze zu stabilisieren, sollte der Traffic weiter zunehmen. Es ist keine Anordnung. Es ist keine Maßnahme, die die Anbieter um jeden Preis zur Gewinnmaximierung wollen. Nein, es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Sicherlich: Wer einen 4K-Fernseher hat, freut sich auch, wenn er einen UHD-Stream bekommt. Doch ist dieser wirklich notwendig, wenn eine Wohnung weiter zur gleichen Zeit der Nachbar nicht in sein Firmennetzwerk kommt? Reicht nicht auch mal für einige Wochen ein guter HD-Stream? Und ist der Download eines neuen Spiels wirklich so wichtig, dass er in zehn Minuten statt in zwanzig Minuten erfolgen muss? Kann sich durch die Vermeidung eines Datenpeaks nicht vielleicht besser die Familie per Video-Konferenz treffen, ohne dass es zu Störungen in Bild und Ton kommt?

Müssen gebuchte Datenraten im Ausnahmezustand eingehalten werden?

Sicher mag der ein oder andere argumentieren, dass die Netzbetreiber die Datenraten, die sie vertraglich versprechen, auch einhalten müssen. Das tun sie unter normalen Umständen auch in den meisten Fällen. Dort wo sie es nicht tun, ist es wichtig, dass ihnen auf die Finger geklopft wird. Deutschland und Europa – nein, die ganze Welt – befindet sich aktuell aber in einer Ausnahmesituation, die jegliches Nutzungsverhalten in der realen Welt aber auch im Internet binnen Tagen komplett verändert hat. Das bringt die Netze an die Grenzen. Denn seit jeher wird in allen Netzen mit Überbuchungen gearbeitet. Noch nie waren Netze dafür ausgelegt, dass alle gleichzeitig telefonieren oder massiv im Internet unterwegs sind. Das wäre nicht wirtschaftlich. Dort wo sonst vielleicht zehn Leute das Internet nutzen, sind es nun hundert. Dort wo sonst ein Telefonat geführt wird, sind es nun fünf. Jegliche Überbuchung, die sonst höchstens auffällt, wenn Apple ein neues Betriebssystem zum Download bereitstellt oder per Telefon über den Gewinner des Eurovison Song Contest abgestimmt wird, fällt den Anbietern jetzt auf die Füße.

Best-Effort-System hat seine Grenzen – die Maßnahmen müssen sie aber auch haben

Und genau deswegen ist es richtig und wichtig, dass in einer Zeit, in der wir alle mehr Rücksicht aufeinander nehmen müssen, diese Rücksichtnahme auch im Internet umgesetzt wird. Das üblicherweise eingesetzte Best-Effort-System bringt uns, wenn die Netze an den Rand ihrer Kapazität kommen, nicht weiter. Denn der nutzlose Speedtest am Gigabit-Anschluss und der 20 GB-Download vom nächsten Konsolenspiel blockieren im Zweifel die wichtige Video-Konferenz, die Verbindung ins Firmennetzwerk oder die Nachrichten-Information über die neuesten Corona-Maßnahmen. Deswegen ist es absolut nachvollziehbar, dass die Netzbetreiber jetzt Mittel haben, das Internetgeschehen zumindest partiell zu limitieren und die wirklich wichtigen Anwendungen zu priorisieren. Aber auch hier gilt im Grundsatz: Die Netzneutralität muss gewahrt bleiben. Einen bestimmten Streaming– oder Konferenzanbieter zu drosseln oder zu priorisieren, das darf es nicht geben. Und noch etwas ist wichtig: Jegliche Limitierungen müssen mit Augenmaß geschehen. Niemand will am Abend ein komplett pixeliges Netflix haben. Und die Limitierungen müssen befristet sein. Denn unter normalen Umständen – sprich nach Ende der Corona-Krise – muss jeder Kunde auch das bekommen können, was er gebucht und bezahlt hat.

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