IFA 2020: Traurige Live-Eindrücke einer fast toten Messe

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Es ist die erste namhafte IT-Messe, die seit dem Ausbruch des Corona-Virus Anfang des Jahres stattfindet: Die IFA 2020 in Berlin. Doch wie ist es vor Ort wirklich? Unser Redakteur Thorsten Neuhetzki schildert seine ganz persönlichen Eindrücke aus Berlin.
IFA 2020

IFA 2020

Es sind komische Zeiten. Früher hing meine Akkreditierung schon Wochen vor der Messe an meinem Schreibtisch. Interview-Termine noch kurz vor der Messe auszumachen – sowohl bei mir als auch bei den Firmen fast unmöglich. Und dabei war ich nicht allein auf dem Messegelände unterwegs sondern mit fast allen Kollegen aus der Redaktion. Dieses Jahr ist alles anders. Mein Terminplan für die IFA 2020 hat viele Lücken, geplante Gespräche finden kurzfristig wegen Absagen der Firmen nicht statt. Meine Akkreditierung kam erst wenige Tage vor dem Messestart bei mir an und zumindest für die Vor-Ort-Berichterstattung bin ich der einzige Redakteur aus unserem Team. Zwei weitere Kollegen betreuen unsere Video-Berichterstattung. Diese nicht nur für uns außergewöhnliche Messeplanung ist aber auch nur möglich, weil viele trotzdem angesetzte Pressekonferenzen ausschließlich per Stream gezeigt werden. Ausschließlich vor Ort finden hingegen die wenigsten Termine statt.

Volle Hallen, überlastete Züge – nicht in diesem Jahr

Der Eingang zur IFA 2020
Wer die IFA in Berlin kennt, denkt an volle Messehallen, zigtausend Menschen, die sich durch enge Gänge quälen, bunte Bildschirme und Shows im Sommergarten. Nichts davon gibt es in diesem Jahr. Nicht einmal die vollen S-Bahnen auf der Anreise gab es – obwohl die S-Bahn aus nachvollziehbaren Gründen nicht einmal Verstärkerzüge einsetzt. Wer auf den markanten südlichen Eingang des Messegeländes zugeht, hat heute Morgen vor allem viel Leere gesehen. Neben dem Logo der IFA spielen zwei Musiker. Später kalauert der ein oder andere es seien „die leisen Töne, die die IFA anschlägt“, andere sprechen gar vom „Abgesang“ oder „Dem Lied vom Tod“. Doch ganz so schlimm ist es nicht, bedenkt man, warum es so leer sein muss. Die Leere verwundert aber nicht, denn die Messe hat in Summe nur wenige tausend Journalisten, Aussteller und Händler zugelassen. Privatbesucher haben gar keinen Zutritt. Wie viele Besucher tatsächlich vor Ort sind, lässt sich schwer sagen. Dass alle Tickets auch wirklich genutzt werden scheint aber eher unwahrscheinlich.

Eine halbe Ausstellungshalle

Pressekonferenz auf der IFA – mit Abstand
Der Versuch der Messe Berlin und der IFA, der Branche ein Stück Normalität zurückzugeben, ist aller Ehren wert. Dennoch: Wenn man wie ich die IFA seit 15 Jahren Jahr für Jahr besucht, muss man erst einmal schlucken. Gerade einmal vier Hallen sind offen – und das auch nur auf einer statt zwei möglicher Etagen. Wer aber mit der Erwartung kam, vier Ausstellerhallen zu sehen, ist schnell enttäuscht. Zwei Hallen sind für die Pressekonferenzen reserviert, die abwechselnd in der einen und in der anderen Halle stattfinden. Jeder Stuhl im Zuschauerbereich hat in jede Richtung 1,5 Meter Abstand. So viel Platz hat man selten auf Pressekonferenzen. Die dritte Halle ist ausschließlich mit Sitzgelegenheiten für ein Treffen und Interviews reserviert, was sich in der vierten Halle fortsetzt. Dort aber gibt es auch noch eine handvoll Aussteller unterschiedlichster Herkunft. Etwas wuseliger geht es im Start-Up-Bereich der IFA Next zu. Deutlich mehr Aussteller zeigen dort ihre Innovationen und auch das Publikum scheint zahlreicher.

Vorbildliche Desinfektion und Hygienemaßnahmen

Rein gehts nur, wenn die Ampel grün ist
Bei allem, was hier auf dem Gelände der Messe passiert, stehen die Hygieneauflagen des Landes Berlin und die Einschränkungen durch die Pandemie ganz oben. In regelmäßigen Abständen erinnern Lautsprecherdurchsagen an das Tragen der Mund-Nase-Bedeckung und rufen zu Abstand zueinander auf. An einer Rolltreppe am Einlass steht ein Mitarbeiter und desinfiziert immerzu den Handgriff. Nach jeder Pressekonferenz kommt ein Desinfektionstrupp, der die Stühle reinigt. Desinfektionsmittel gibt es an jeder Ecke und in eine der Hallen darf ich nur rein, wenn die Ampel, die die Messe Berlin vor den Eingang gestellt hat, grün leuchtet. Denn pro Halle dürfen nur 750 Personen anwesend sein.
Der Hallenplan der IFA 2020
Letztlich bleibt ein zwiegespaltener Eindruck. Es ist gut und richtig, dass die Messe versucht, einen Schritt zur alten Normalität zu machen. Nicht nur, um Innovationen zu zeigen ist ein solches Event richtig. Die Event-Industrie hängt natürlich auch an solchen großen Messen. Viele Arbeitsplätze dürften dort dieses Jahr ausgefallen sein. Auch die Kontaktpflege kam in den vergangenen Monaten zu kurz – für die Unternehmen der „Funk“-Branche genauso wie für uns Journalisten, die wir uns sonst laufend treffen und austauschen.

Hat die Messe zu viel erwartet

(Zu) viele Sitzmöglichkeiten in den Ausstellungshallen
Doch es dürfte kein Geheimnis sein, dass die Messe sich mehr erwartet hat. Groß war wohl die Hoffnung, dass man das Virus über den Sommer besser in den Griff bekommt. Auch hatte man wohl gehofft, dass mehr Aussteller den Weg nach Berlin finden. Denn dass anderthalb komplette Messehallen nur mit Stühlen und Tischen zum Catering und Arbeiten ausgestattet sind, wirkt doch ungewöhnlich viel. Zumal auch wohl nicht so viele Journalisten den Weg nach Berlin gefunden haben, wie man sich erhofft hat. Immerhin: Wenn man mit einem auf dem Messegelände kein Problem hat, dann ist es, den Abstand zu anderen einzuhalten. Und so wirkt die IFA 2020 leider eher wie eine kleine Hausmesse als wie der Auftakt zu einer neuen (alten) Normalität. Es bleibt nur zu hoffen, dass die IFA 2021 wieder annähernd zu ihrem alten Format zurückkehren kann.

1 Kommentar

  1. Paul
    Danke für den ehrlichen Artikel! Sehr interessant, aber auch extrem traurig, für alle beteiligten Mitarbeiter, Branchen, Firmen usw. Ob es jemals wieder Veranstaltungen mit Tausenden Menschen geben wird... Sehr schade auf jeden Fall, aber ich habe das Gefühl, dass der überwiegende Großteil in Deutschland mit den Einschränkungen auch dauerhaft einverstanden ist, wenn man sich die Umfragewerte von Politikern ansieht. Aber ob wirklich jeder so scharf drauf ist Zuhause eingesperrt zu sein und alles virtuell zu erledigen. Naja, vielen Dank, dass zumindest Sie vor Ort waren!
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