KOMMENTAR

Fakten-Checks gecancelt: Kernschmelze für Social Media?

11 Minuten
Diese Woche hat Mark Zuckerberg die Spielregeln für Facebook geändert. So unspektakulär das klingt, so dramatisch sind die Folgen. Was genau passiert ist, was dahintersteckt, und wieso ich glaube, dass das für Social Media als Ganzes eine tödliche Gefahr sein könnte, zeige ich dir hier. 
Das Ende von Facebook? Zuckerberg ändert Regeln
Das Ende von Facebook? Zuckerberg ändert RegelnBildquelle: inside digital

Hach, weißt du noch, 2024? Dieses schlimme, schlimme Jahr, mit Kriegen, Unwetterkatastrophen, Rechtsruck in vielen Ländern und der Trump-Wahl in den USA? Wir waren dumm genug zu glauben, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte. Und jetzt? Das Jahr ist erst eine Woche alt und wir haben Elon Musk, der den FC Liverpool kaufen will, deutsche Politiker beschimpft, sich an die AfD und in anderen Ländern an vergleichbar rechts-populistische Parteien sowie Medien-Riesen wie den Springer-Verlag ranwanzt. Und jetzt kommt die Kernschmelze bei den Social-Media-Plattformen noch dazu.

Es sind wahrlich schwierige, komplexe Zeiten

Wir haben ferner den eben erwähnten Trump, der den Golf von Mexiko in den „Golf von Amerika“ umbenennen will, den Panamakanal „zurückhaben“ möchte, und Kanada und Grönland in die USA eingliedern will. Nach den beiden Ländern befragt, wollte Trump nicht einmal militärische Maßnahmen ausdrücklich ausschließen! Er hat sogar ganz zufällig schon einmal seinen Sohn nach Grönland geschickt, um auszuloten, ob die Inselbewohner Bock auf MAGA haben. 

Mit Blick auf diesen ganzen Wust aus üblen Verstrickungen ist es dringend notwendig, dass wir uns um Fakten kümmern. Wir müssen Fakten erkennen, Fakten in unserer Meinungsbildung berücksichtigen, und sicherstellen, dass wir Fakten als Gesellschaft anerkennen, als Diskussionsgrundlage nutzen und sie teilen.

Wieso ich das alles anspreche? Weil wir in Zeiten leben, …

  • … in denen Fakten oftmals nicht mehr die Rolle spielen, die sie spielen sollten.
  • … in denen KI es jedem immer einfacher macht, Fake News zu erstellen und unters Volk zu jubeln.
  • … in denen Milliardäre wie Mathias Döpfner (Axel-Springer-Verlagsgruppe) oder Jeff Bezos (Washington Post) eine erdrückende Medienmacht haben. 
  • … in denen zudem Milliardäre (gerade aus der Tech-Welt) so weit in Trumps Arsch kriechen, dass man nicht mehr weiß, wo der eine Arsch anfängt und der andere aufhört. 

Wenn wir uns nicht darum kümmern, dass diese tatsächlichen Fakten unsere Gesprächsgrundlage darstellen, passieren so Dinge wie das, was wir auf dem ehemaligen Twitter sehen. Dort gibt es einen unschönen Wildwuchs an Populisten, Faschisten, offen Rechtsradikalen, Misogynen und ähnliche Menschenfeinde. Angeführt werden sie von dem Besitzer der Plattform, der Fake News, Beschimpfungen und Verschwörungstheorien nicht nur duldet, sondern begeistert auch selbst teilt. 

Mark Zuckerberg schafft Faktenchecks ab

Ja, ich habe jetzt weit ausgeholt, aber meiner Meinung nach aus gutem Grund. Weil wir all das berücksichtigen müssen, um zu erkennen, wie wichtig es ist, dass wir auf Instanzen vertrauen können, die Nachrichten auf ihren Faktengehalt prüfen. Und am 7. Januar verkündete Meta-Boss Mark Zuckerberg, dass er genau diese Faktenchecks nicht mehr möchte.

Er wird – zunächst in den USA – diese neutralen Faktenchecker in die Wüste schicken und durch sogenannte Community Notes ersetzen. Das ist exakt der Weg, den Twitter gegangen ist und der dort nachweislich alles schlimmer gemacht hat. Zuckerberg bezieht sich auch ausdrücklich auf „X“, schlägt also jetzt bewusst diesen Elon-Musk-Weg ein. 

Diese Community Notes sehen vor, dass sich nun die Nutzer:innen der Meta-Plattformen um das Problem kümmern. Ihr könnt auf Facebook, Threads oder Instagram in den USA Beiträge mit Hinweisen versehen. Es sind also die User, die darüber entscheiden, ob etwas wahr ist oder nicht. Bei Falschmeldungen werden die erhellenden Warnhinweise zudem kleiner geschrieben – es soll eben nichts den schönen Flow beim Scrollen stören.

Zurück zu den Wurzeln von Social Media?

Zuckerberg spricht bei seinem Ansinnen davon, dass er zurück zu den Wurzeln will und wieder stärker für Meinungsfreiheit einstehen will. Aber eben nicht nur das: Bei geringfügigen Verstößen würden Postings in Zukunft erst nach dem Eingang von Nutzerbeschwerden tatsächlich geprüft, Algorithmen werden zudem nur bei einer höheren Schwelle eingreifen. Nachdem Meta politische und gesellschaftliche Themen zuletzt eher unterdrückt hat, sollen diese jetzt wieder stärker in den Fokus rücken. 

Bislang stehen die Faktenchecker in der EU (noch) nicht zur Debatte. Allerdings plant Meta, an der Seite des kommenden US-Präsidenten Trump Regierungen in anderen Ländern anzugehen. Zuckerberg spricht in dem Zusammenhang davon, zusammen mit Trump gegen „Zensur“ vorzugehen. Wichtig ist bei dem Ganzen, dass man sich nur um die „schwereren“ Delikte scheren will. Bei so „Kleinigkeiten“ wie der Holocaust-Leugnung oder der Aussage, dass Homosexuelle psychisch krank seien, sieht man künftig gnädig weg und betitelt das eben als Meinungsfreiheit.

Wieso ist der neue Meta-Weg so falsch?

Erst einmal liegt meiner Meinung nach ein Fehler vor in der Art, wie US-Amerikaner:innen diese freie Meinungsäußerung definieren. Ich kann es den USA allein schlecht ausreden, aber man hängt dieses „Jeder kann sagen, was er möchte“ dort schlicht zu hoch. Die Grenze sollte da sein, wo man die Rechte von anderen tangiert, und wo man wissentlich Falsches behauptet. 

Denk bitte nicht, dass Mark Zuckerberg diesen 7. Januar zufällig gewählt hat. Vielmehr ist es auf den Tag genau vier Jahre her, dass Donald Trump im hohen Bogen bei Facebook rausgeflogen ist – einen Tag nach dem Sturm des Capitols im Jahr 2021. Und jetzt sitzt er da, mit wilder Mähne, Kettchen und 900.000-Dollar-Uhr – und sieht für mich aus wie jemand, der das eigentlich nicht so gerne sagt, was er da sagt. Es erinnert eher an Gefangene eines Regimes, die kamerawirksam behaupten sollen: „Hey, alles gut hier, die behandeln mich bestens, keine Folter oder so“. 

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Er hat in den vergangenen Wochen und Monaten einen bemerkenswerten Kurswechsel Richtung Trump hingelegt. Ich behaupte, dass du diese Zeilen nicht lesen würdest und es die Ankündigung von ihm nicht gegeben hätte, wäre Kamala Harris ins Amt gewählt worden. Da sitzt ein Opportunist, der öffentlich bestätigt, dass er jetzt im Team Trump spielt.

Personal ausgetauscht – von EU zu MAGA

Dazu gehören auch weitere Personalfragen im Konzern: Nick Clegg, als ehemals britischer Vizepremierminister bestens vernetzt in der EU, wird Meta verlassen. Seinen Job übernimmt: Joel Kaplan – ein Republikaner, der schon unter George W. Bush im Weißen Haus diente. Auch im Board schlägt Zuckerberg also voll den MAGA-Kurs ein und signalisiert Trump, dass Meta nicht länger „Feind des Volkes“ ist – so hatte Trump Facebook noch während des Wahlkampfs genannt, und zudem Mark Zuckerberg angedroht, dass er ihn lebenslang ins Gefängnis steckt. 

Wieso das falsch ist, was Facebook, genauer gesagt Meta da gerade macht? Weil ich glaube, dass diese so niedlich positiv daherkommenden Erklärungen, dass man „back to the roots“ will, die Regeln „einfacher“ gestaltet und doch eigentlich nur „für die Meinungsfreiheit“ eintritt, einfach nur vergiftete Aussagen sind. 

Wir sind uns hoffentlich einig, dass der wirkliche Schutz vor Falschaussagen ohnehin nie wirklich auf Facebook funktionierte. Es war dem Konzern immer schon lästig, irgendwie dafür geradestehen zu müssen, was andere auf der Plattform so sagen. Und mit der Regeländerung entfesselt Zuckerberg nun dieses massive Negativpotenzial, das wir von X (ehemals Twitter) kennen. Es geht nicht einmal um freie Meinungsäußerung an sich, denn die steht uns schon per Grundgesetz zu. Es geht vielmehr darum, „dass Leute, die absichtlich Lügen verbreiten und strategisch andere beleidigen, zukünftig leichteres Spiel haben“, wie es der deutsche SPD-Politiker Robin Mesarosch treffend formuliert. 

Der zahnlose Tiger EU

Ich weiß nicht, in welchem Land du diesen Beitrag gerade liest, aber zumindest hier in Deutschland und in der EU, hat man es verpennt, regulierend einzugreifen. Ja, wir haben hier den Digital Services Act (DSA) und den Digital Markets Act (DMA) – Instrumente, die MAGA-Meta im Zaum halten sollen, sich dabei aber sichtlich als einigermaßen zahnlose Tiger entpuppen. 

Bei aller Freude darüber, dass in der EU Schritte unternommen werden, die in den USA meilenweit nicht zu sehen sind, habe ich trotzdem das Gefühl, dass man es jetzt knapp 20 Jahre lang versäumt hat, Nutzer:innen der großen Social-Media-Plattformen zu verdeutlichen: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Klar kann ich Hetze anzeigen und ja, immer wieder gibt es die Meldungen, dass sogar Politiker tatsächlich mit Geldstrafen belegt wurden für auf Social Media aufgestellte Behauptungen. 

Troll-Armeen außer Rand und Band

Aber wir sehen uns massiven Troll-Armeen und Millionen Bots gegenüber im Kampf um die Deutungshoheit im Netz. Bitte vergiss die Vorstellung, dass man beispielsweise auf „X“ bleiben müsse, um dort den politischen Gegner von Rechts inhaltlich zu stellen und mit Gegenrede für die Freiheit zu kämpfen. Solange ein völlig durchgeknallter, nach Rechtsaußen abgedrifteter Mann (der gleichzeitig reichster Mensch der Welt ist), darüber entscheidet, was du und der Rest sieht und was nicht, kämpfst du gegen Windmühlen.

Derselbe Mann sitzt im Kopf von Trump, nimmt an weltpolitisch relevanten Gesprächen Trumps teil und hat in den vergangenen Jahren auch einen direkten Draht zu Putin gehabt. Dazu ist er mit SpaceX unverzichtbar für NASA und die USA – und ist unlängst dazu übergegangen, flächendeckend Politiker:innen anzuzählen, egal, ob sie in Deutschland, Großbritannien, Kanada oder sonst wo sitzen.

Diese Entwicklung ist ein Desaster – und deswegen ist es eine noch größere Katastrophe, wenn nun der Chef von Facebook, Threads, Instagram und WhatsApp auch auf diesen Kurs einschwenkt. Aber bevor ich zu meinem Resümee komme, versuche ich noch, einen zumindest etwas positiven Gedanken zu fassen:

Das zarte Pflänzchen Hoffnung bei Facebook

Ja, ein winziges, zarte Pflänzchen der Hoffnung habe ich noch. Zuckerberg ist nicht Musk! Musk ist nicht der reichste Mann der Welt durch eine Social-Media-Plattform geworden. Er könnte Twitter komplett an die Wand fahren (was er faktisch tut, Nutzer:innen wie Werbekund:innen sind in Scharen davongelaufen), hat er eben immer noch SpaceX und vor allem Tesla

Mark Zuckerberg hat in seiner Konzernstruktur aber fast ausschließlich Plattformen, die auf Werbeeinnahmen angewiesen sind. Sollte es hier einen ähnlichen Exodus geben wie bei Ex-Twitter, muss Zuckerberg darauf reagieren. Mit dieser erratischen Scheißegal-Attitüde eines Elon Musk kommt er da nicht weit. 

Möglich also, dass sich Meta noch einmal umentscheidet und vielleicht eines Besseren besinnt. Allerdings wage ich nicht vorherzusagen, ob nicht auch die Industrie umschwenkt und die Werbepartner:innen sich langsam überlegen, lieber im Team Trump mitzuspielen. Wir werden sehen.

Fazit: Social Media, wie wir es kannten, ist zerstört

Ich hoffe inständig, dass ich mich irre. Aber aktuell bin ich desillusioniert und fürchte, dass die Art von Social Media, die wir über Jahre genossen haben, nun endgültig begraben wurde. Der Schwenk des Mark Zuckerberg mit allem, was das nach sich zieht, ist ein Sargnagel für Social Media. Die Themensetzung und der Diskurs – sie liegen nicht mehr in unserer Hand. Es wird gesteuert, welche Meinung eher gesehen wird und welche nicht. 

Schau auf Trumps Kabinett: Es sieht aus wie die gruseligste Muppet-Show der Welt. Tatsächlich schart sich Trump dort seine Kumpels zusammen – allesamt schwerreich und hundertprozentig loyal zu Trump. Die Politik, mit der Trump vorgaukelt, für die kleinen Leute da zu sein, vertritt die Interessen von Milliardären. Milliardäre besitzen Medien und Milliardäre besitzen und lenken Social-Media-Plattformen. Diese Plattformen von Meta und „X“ (und lass uns auch TikTok nicht vergessen) werden längst überflutet von ganz gezielten Lügen und Falschaussagen, von Hass und Hetze. 

Das ist eine ganz furchtbare Entwicklung in Zeiten, in denen sich Neo-Nazionalismus und Neo-Imperialismus Bahn brechen. Wenn jetzt auch ein Mark Zuckerberg einknickt, um Teil von Trumps ‚Bro’ligarchie zu werden, verkümmert in mir das letzte bisschen Hoffnung, dass Social Media, wie wir es kennen, weiter existiert.

Mir fehlt die Vorstellungskraft, wie eine neue Art von Social Media künftig aussehen wird. Werden wir von diesen Plattformen nach und nach abhauen, während künftig dort nur noch Chatbots miteinander kommunizieren? Ich habe keine Ahnung! 

Ich würde gerne positiver schließen. Aber aktuell fehlt mir die Vision, die Hoffnung – und das Vertrauen in die Entscheider in der Politik. Kann ich dir etwas Aufmunterndes, Konstruktives mit auf den Weg geben? Nein, leider nicht.  Was ich noch sagen kann: Ich bin weg von Twitter, werde mein Wirken auf Meta-Plattformen deutlich zurückschrauben. Ich bin jetzt bei Bluesky zu finden. Vielleicht sehen wir uns da! 

Dieser Artikel erschien zuerst auf nextpit.de.

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