Betrachtet man sich die Möglichkeiten, die Deutschland hat, um kostengünstigen Strom zu erzeugen, scheint unser Land auf den ersten Blick gut aufgestellt zu sein. Der Ausbau von erneuerbaren Energien schreitet überall voran. Zwar kann nicht jedes Ausbauziel eingehalten werden, wie im Falle des Windkraftaufbaus, andere übertreffen ihr Ziel dabei sogar, wie die Solarsparte. Dennoch bleiben die Preise für die Kilowattstunde (kWh) Strom in Deutschland hoch. Schuld daran ist vor allem die ungleiche Verteilung zwischen der Energieerzeugung und des Energieverbrauchs in Deutschland. Während der Norden seine Windräder abregeln muss, um die Netze nicht zu überlasten, müsste der Strom eigentlich Industriezweige im Süden erreichen. Bundeswirtschaftsminister Habeck wollte das Problem mit seiner Kraftwerksstrategie lösen. Dabei schweben den Netzbetreibern selbst bereits Lösungsvorschläge vor, die die Preise deutlich senken könnten.
#1 Mehr Stromtransporte dank Freileitungen
Anstatt teure und langwierige Arbeiten für unterirdische Stromtrassen in Kauf zu nehmen, halten Netzbetreiber Freileitungen für die Lösung des Netzausbaus. Würde man sich für Freileitungen statt Stromtrassen entscheiden, sinken die Kosten des Projekts damit um geschätzt 20 bis 23 Milliarden Euro. Zugleich könnte die gesamte Umsetzung beschleunigt werden. Um ein gesamtes Jahr, was zu einer deutlich schnelleren Entlastung der bisherigen Stromnetze beitragen würde. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass zugleich weitere Windräder und Solarkraftwerke ans Netz gehen werden. TransnetBW-Chef Götz spricht sich darum für oberirdische Stromtrassen aus. Ein Vorschlag, der große Unterstützung vonseiten der Industrie erhält.
So sprachen sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Bauernverband (DBV), Deutsche Gewerkschaftsband (DGB) sowie die Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBZ) in einem Brief an Habeck für diese Maßnahme aus. „Damit ergäbe sich ein signifikantes Potenzial zur Kostendämpfung bei den Strompreisen für Verbraucherinnen und Verbraucher und Industrie in Deutschland“, so zitiert das Handelsblatt das Bündnis der Verbände. Erste Zustimmung findet sich bereits aus Reihen der Politik, unter anderem von Baden-Württembergs Energieministerin Thekla Walker (Grüne). „Wenn sich mit Freileitungen Geld und Zeit sparen lässt, dann befürworte ich diesen Vorschlag.“ Doch gleichzeitig ertönt auch erste Kritik. Der Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) hält die Einsparungen für zu hoch geschätzt. Bisher befindet sich die Planung der Trassen noch in einem sehr frühen Stadium. Eine Fertigstellung des Projekts ist erst ab dem Jahr 2037 vorgesehen.
#2 Abnahmegarantien sollen Sicherheit schaffen
Der Gaskraftwerk-Ausbau, den Habeck vorantreiben wollte, stockt bisher. Energieversorger scheuen jedoch, Milliarden in den Bau von Kraftwerken zu investieren, bei denen nicht sicher ist, ob diese sich am Ende für sie rechnen. Besteht keine ausreichende Abnahme der erzeugten Strommengen aus dem Kraftwerk, könnte sich das schnell als Milliardengrab für die Unternehmen erweisen. Die gestiegenen Ausgaben würden zudem direkt an die Kunden weitergetragen, was die Kilowatt-Preise des Stroms noch weiter in die Höhe treiben könnte. Aus Sicht der Netzbetreiber wären darum eine Abnahmegarantie entscheidend, um den Bau von Anlagen zu motivieren. Studien lassen bereits Schlüsse darauf zu, wie häufig ein Ersatz-Gaskraftwerk in den kommenden Jahren benötigt wird. Diese Summe an Geldern, die ohnehin an die Betreiber gezahlt würde, sollte als Vorschuss direkt an die Energieunternehmen erfolgen. So würde der Bau der Kraftwerke mitfinanziert und eine Planungssicherheit für die Firmen gewährleistet. Gänzlich ohne riskante Mehrkosten, die von Bau-Vorhaben abschrecken könnten.
#3 Der Fokus muss vom Gas abweichen
Bisher konzentrieren sich die Bemühungen hauptsächlich auf Gaskraftwerke als Sicherheitsgarantien, dabei bestünden wesentlich bessere und leichter zugängliche Möglichkeiten. Biomasseanlagen könnten zusätzlich zu den geplanten zehn Gigawatt an Gasleistung bereitstehen, um bei Bedarf für ausreichend Strom zu sorgen. Bis zu sechs Gigawatt an Leistung wären hier problemlos möglich. Benötigt man während Stromspitzen keinerlei zusätzliche Strommenge, kann die Biomasse bereitgehalten werden, wird sie benötigt, wandelt man sie in Strom um. Neben diesen Biogasanlagen könnte auch die Nutzung von Wasserkraft ein bis zwei zusätzliche Gigawatt bereitstellen. Damit dieses Vorhaben jedoch gelingen könnten, müsste die Bundesregierung die für Wasserstoff bereits geplanten Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungen auf weitere Energieträger übertragen. Da so viel mehr dezentrale Kraftwerke an unterschiedlichen Orten entstehen könnten, würden die Netze in vielen Teilen Deutschlands entlastet. Flauten der erneuerbaren Energien ließen sich zudem besser ausgleichen.
Stromspeicher-Bau soll sich fortsetzen
Dass keiner dieser drei Lösungsansätze von Speicherkapazitäten spricht, liegt nicht daran, dass der Ausbau von Speichern verworfen wurde. Vielmehr sollen diese Maßnahmen gemeinsam mit einem fortschreitenden Ausbau von Stromspeichern in Deutschland wirken. Denn obwohl das Potenzial solcher Speicheranlagen groß ist, nimmt ihr Bau einiges an Zeit in Anspruch. Unser Stromnetz und die Stromproduktion können schlichtweg nicht im jetzigen Zustand ausharren, bis eines Tages ausreichend Speichermöglichkeiten vorhanden sind. Greifen jedoch all diese Lösungsansätze ineinander über und ergänzen sich, könnte die Stromversorgung in Deutschland nicht nur nachhaltiger und flexibler werden. Sie dürfte auch um einiges günstiger ausfallen, da die hohen Entschädigungsgebühren für die Abregelungen zumindest teilweise entfallen würden.