Digitalisierung in Deutschland: Das Faxen haben wir noch nicht dicke

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Hohe Mobilfunkpreise, fehlende digitale Ausrüstung in Schulen und Verwaltungsorganen, scheiternde Projekte. Wenn es um Digitalisierung geht, blamiert sich Deutschland auf ganzer Linie. Und das hört 2022 nicht auf - im Gegenteil. Warum es wieder - oder immer noch - was zu meckern gibt. Ein Kommentar.
Eine Person gestikuliert sitzend an einem Tisch, vor sich einen Laptop und ein Notizbuch.
Deutschland verschläft die Digitalisierung.Bildquelle: Headway/Unsplash

Deutschland hat viel vor, wenn es um Digitalisierung geht. Das sieht man nicht nur an der Webseite der Bundesregierung, auf der allerhand aktuelle Themen wie 5G, Digitalisierung im Alltag und mehr angepriesen werden. Nein: So sicher wie das Amen in der Kirche, versprechen Politiker wie am Fließband, dass die Digitalisierung kommt. Und sie soll alles besser, einfacher und schlichtweg wunderbar machen. Doch hier liegt bereits der Hase im Pfeffer: Die Digitalisierung auf allen Ebenen sollte nicht erst kommen, wir stecken schon mittendrin. Eigentlich. Doch nicht mit uns!

Das berühmte Merkel-Zitat „Das Internet ist für uns alle Neuland“ von 2013 ist knapp acht Jahre später zwar immer noch ein Running Gag. Die Aussage – die zugegeben aus dem Zusammenhang gegriffen ist – sollte 2022 nun aber wirklich relativiert sein. Oder?

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Digitalisierung: Deutschland blamiert sich in einem fort

Die kurze Antwort: Nein. Die Lange folgt sogleich. Dass Deutschland die digitale Wende verschlafen hat, ist ein offenes Geheimnis. Und anstatt sich aus dem Dornröschenschlaf küssen zu lassen, dreht es sich lieber nochmal und zieht die Decke über den Kopf. Im Europa-Vergleich hängt das vermeintliche Vorreiterland, das Land der Innovationen und Dichter und Denker Faxer zurück. Schießen Dänemark, Finnland und Schweden sowie mittlerweile sogar Irland andere EU-Staaten in puncto Digitalisierung immer mehr an die Spitze, verweilt Deutschland laut der Desi-Erhebung von November 2021 im Mittelfeld auf Platz 11 (2020 war es noch Platz 12).

Von Fortschritt keine Spur – im Gegenteil. Eine Blamage folgt der nächsten. Es scheint, dass sämtliche Digital-Projekte von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. Zu viele Mängel, fehlende technische Ausrüstung in Verwaltungen, undurchdachte Pläne, Datenschutzdefizite. Die Liste ist lang. Verwunderlich ist es nicht.

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E-Perso, E-Rezept und Co.: Eine reine Farce

Das aktuellste Beispiel ist wohl das E-Rezept, das ursprünglich 2022 verpflichtend starten sollte. Doch es kam alles anders: Die Testphase förderte so viele Hürden zutage, dass diese kurzerhand verlängert wurde – und das erst nach langem Bitten und Betteln von Kritikern bei der Bundesregierung. Behoben ist das Problem nicht, im Gegenteil: Die Testphase ist ausgeweitet und die Arbeit mit dem E-Rezept vorerst weiterhin freiwillig. Zu vielen Arztpraxen und Apotheken fehlt schlichtweg die Möglichkeit, das E-Rezept überhaupt auszustellen. Konkrete Lösungswege gibt es hier bis dato noch nicht. Bleibt man im medizinischen Bereich, winkt auch die Corona-Warn-App hämisch und erinnert an ihren holprigen Start im Sommer 2020. Sie wurde teurer, verzögerte sich und machte Probleme.

Und das ist nicht die einzige Farce. Andreas Scheuers digitaler Führerschein und seine „App für alles“ – die ID Wallet – wurde nach nur zwei Tagen wieder aus den App Stores genommen. Die App stürzte immer wieder ab, was es potenziellen Nutzern unmöglich machte, sich auch nur anzumelden. Das Vorhaben scheiterte bereits also nach dem ersten Schritt. Wann die ID Wallet in Zukunft kommt? Man weiß es nicht.

Ein Paradebeispiel für Unausgegorenheit stellt derweil auch der E-Personalausweis dar. Zwar hat man den Ausweis einmal auf dem Handy gespeichert stets parat. Doch danach kann man mit dem digitalen Modell nicht mehr viel anstellen – und wenn, dann nur mit Hürden, wie unser Selbsttest zeigte. Was macht die Regierung? Anstatt sich dem Kern des Problems anzunehmen, will man in Zukunft drei Apps zur Verfügung stellen, die allesamt eine andere Funktion haben.

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Was muss passieren, damit Deutschland in der Gegenwart ankommt?

Für die breite Bevölkerung ist das Internet wohl kein Neuland mehr. Doch gemessen an den Maßnahmen, die Politiker verzweifelt versuchen einzuleiten, bleibt der Eindruck, dass es für „die da oben“ immer noch Neuland ist. Die neue Ampelkoalition rund um Neukanzler Olaf Scholz (SPD) weckt da nicht viel Hoffnung: Laut Koalitionsvertrag war ein Digitalministerium nicht geplant. Nun kümmert sich jedoch Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) um die Digitalisierung und bekommt damit dahin gehend mehr Kompetenzen eingeräumt. Ob das reicht?

Was muss passieren, damit Deutschland aufholt und seinem Ruf, ein modernes Land zu sein, gerecht wird? Halten wir uns auch hier an unsere Ex-Kanzlerin: „Alles, was digitalisierbar ist, wird auch digitalisiert.“ Ganz sicher. Amen.

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1 KOMMENTAR

  1. Nutzerbild Frei

    Warum sind in Deutschland die Mobilfunkpreise so extrem teuer?
    Durch die versteckten Handysteuern, die der deutsche Staat als Lizenzgebühren für die Frequenzen den Mobilfunknetzbetreiber abgepresst hat. Die müssen die vielen Milliarden auf die Preise umwälzen, und haben nicht genug Geld, um das Netz flächendeckend auszubauen. Im Endeffekt zahlen die Milliarden die Endverbraucher, also wir!
    Z.B. im Jahr 2000 kassierte der Staat über 60 Milliarden DM für die Frequenzzuteilungen! (32,2 Milliarden €):
    https://de.wikipedia.org/wiki/Versteigerung_der_UMTS-Lizenzen_in_Deutschland#Ablauf_der_Versteigerung

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