Chat Fight: Brauchen wir ein Tempolimit? Ja oder Nein?

32 Minuten
Muss ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen her, oder wäre das lediglich Unsinn mit allenfalls Symbolcharakter? Kurz vor der Bundestagswahl streiten wir uns intern im Firmen-Chat über dieses Thema – und du kannst ausnahmsweise mal bei unserer epischen Schlacht um Argumente dabei sein!
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TempolimitBildquelle: DarwelShots / Shutterstock.com

Wir haben Bock zu zanken! Nee, nicht grundsätzlich, aber hin und wieder muss man sich eben mal auf die Argumente des anderen einlassen, wirklich mal zuhören – und dann anschließend noch einmal neu bewerten, wo man steht, und welchen Erkenntnisgewinn man vielleicht durch diesen Dialog erzielen konnte. In dem Fall ist es durchaus lohnenswert, sich mal etwas gezofft zu haben!

Leider passiert das in letzter Zeit viel zu selten, dass vernünftig diskutiert wird. Vielmehr habe auch ich das Gefühl, dass wir nur auf die eigene Meinung und die eigene Agenda schauen. Wir diskutieren nicht, wir streiten nicht ergebnisoffen – stattdessen wollen wir den anderen dazu nötigen, unserer Meinung zu sein. Gerade vor dem Wahlkampf fällt mir das wieder übertrieben auf. Mein geschätzter Kollege Jan und ich hatten jüngst eine „klitzekleine“ Meinungsverschiedenheit. 

Ich habe das bewusst in Anführungszeichen gesetzt und zwar aus zwei Gründen:

  1. Wir hatten das Gefühl, dass unsere Meinungen nicht nur etwas, sondern fundamental auseinandergehen
  2. Unser Chat-Duell war alles andere als „klitzeklein“, sondern ein ellenlanges 5.000-Wörter-Streitgespräch!

Auch, wenn das so ewig lang ist, möchte ich dir unseren Dialog hier nicht vorenthalten. Da aber vermutlich die wenigsten auf Anhieb Bock und Zeit haben, sich das eine halbe Stunde lang durchzulesen, gibt es vorab eine kleine Zusammenfassung. Dann lernst du übersichtlich unsere Positionen kennen bzw. hörst von verschiedenen Seiten, was für und was gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen spricht. 

Catcht dich das, kannst du gerne danach den kompletten Schinken lesen, aber vielleicht reicht dir ja auch schon die Zusammenfassung, um dir ein Bild zu machen.

Zusammenfassung unserer Diskussion übers Tempolimit auf deutschen Autobahnen

Hier also eine Zusammenfassung unseres Rededuells zu Tempolimits auf Autobahnen. Wir machten unterschiedliche Standpunkte zu Freiheit, Sicherheit, Umwelt und Wirtschaftlichkeit aus. Hier sind unsere Kernargumente:

Casis Position: Pro Tempolimit

  1. Sicherheit:
    Ich wollte mit Physik punkten: Höhere Geschwindigkeiten führen zu längeren Bremswegen und erhöhten Unfallrisiken. Ich verweise auf Erfolge von Tempolimits in Städten wie Bologna, wo die Verkehrstoten nach Einführung von Tempo 30 deutlich sanken. Ich weise darauf hin, dass der Verkehr auf Autobahnen natürlich anders läuft als in Innenstädten, aber auch auf der Autobahn erscheint mir ein generelles Limit sinnvoll, um Risiken zu minimieren.
  2. Umwelt und Energie:
    Ein Tempolimit reduziert den Energieverbrauch, was sowohl in Krisenzeiten (wie der Ölkrise der 1970er) als auch im Klimakontext relevant ist. Studien zufolge könnten jährlich bis zu 950 Mio. Euro durch geringere Infrastrukturkosten, Unfälle und Spritverbrauch eingespart werden.
  3. Internationale Vergleiche:
    Fast alle Länder weltweit haben Tempolimits – Die wirklich wenigen Ausnahmen wie Haiti oder Somalia seien kein Vorbild. 
  4. Pragmatischer Ansatz:
    Ein Tempolimit ist eine „low-hanging fruit“: einfach umsetzbar und ein erster Schritt in Richtung Verkehrswende. Notfalls könnte ich mich auch für variable Limits (z. B. 130 km/h tagsüber, freie Fahrt nachts) erwärmen.

Jans Position: Contra generelles Tempolimit

  1. Freiheit und Verhältnismäßigkeit:
    Jan lehnt pauschale Verbote ab, solange keine zwingenden Gründe vorliegen. Ein Tempolimit sei ein unnötiger Eingriff in die Freiheit, sagt er, da die Sicherheit auf deutschen Autobahnen bereits hoch sei (im EU-Vergleich im unteren Mittelfeld der Verkehrstoten). Die Hauptunfallursachen (Sekundenschlaf, LKW-Unfälle, Handynutzung) ließen sich nicht durch Geschwindigkeitsbegrenzungen lösen.
  2. Zweifel an der Wirksamkeit
  • Die meisten Autofahrer fahren ohnehin unter 130 km/h.
  • Infrastrukturschäden entstehen primär durch LKW, nicht durch PKW.
  • Ein Rebound-Effekt könnte Energieeinsparungen zunichtemachen (günstigere Spritpreise führen zu mehr Fahrten).
  1. Flexible Lösungen:
    Jan befürwortet situative Tempolimits (bei Stau, Regen, Baustellen) und smarte Verkehrssteuerung per LED-Schildern. Ein starres Limit ignoriere kontextuelle Faktoren und sei reine Symbolpolitik.
  2. Alternative Maßnahmen:
    Statt pauschaler Limits sollten strengere Kontrollen (Handy am Steuer), verpflichtende Assistenzsysteme für LKW und Investitionen in Infrastruktur/ÖPNV priorisiert werden.

Manches Mal waren wir uns einig …

Wir erkennen beide an, dass variable Tempolimits sinnvoll sind – etwa bei hohem Verkehrsaufkommen oder Wetterrisiken. Wir stimmen zudem überein, dass:

  • Sicherheit durch moderne Technik (Notbremsassistenten) und bessere Durchsetzung bestehender Regeln (Abstand, Handyverbot) gesteigert werden kann.
  • Umweltziele auch durch Flottenmodernisierung (E-Autos) und Steuerreformen erreicht werden sollten.
  • Symbolpolitik („Immer 130“ vs. „Immer freie Fahrt“) der komplexen Realität nicht gerecht wird.

… und manchmal so gar nicht

  • Freiheit vs. Sicherheit: Jan sieht Freiheitseinschränkungen nur bei klarem Nutzen, Ich ziehe kollektive Sicherheit vor.
  • Rolle des Staates: Ich vertraue auf staatliche Regulierung, Jan hingegen kritisiert paternalistische Verbote.
  • Wirtschaftliche Einsparungen: Ich bringe eine Studie als Beleg, Jan jedoch zweifelt hart am Realitätsbezug (Rebound-Effekt, LKW-Schäden).

Unsere Diskussion zeigte uns, dass ein generelles Tempolimit stark von ideologischen Grundhaltungen (Freiheit vs. Sicherheit/Umwelt) abhängt. Im Dialog fanden wir zwar Kompromisse in intelligenten, flexiblen Lösungen, bleiben aber in der Grundsatzfrage gespalten: Auch nach dem Gespräch erscheint mir das Tempolimit als einfacher Schritt zur Verkehrswende. Jan bevorzugt weiterhin differenzierte Maßnahmen, die Freiheit und Effizienz verbinden. Die Debatte spiegelt meines Erachtens sehr schön wider, wie es derzeit um gesellschaftliche Konflikte bestellt ist: Wie viel Regulierung ist nötig – und wann wird sie zur Bevormundung? Unterm Strich steht aber auch, dass wir uns zugehört und über die Punkte des anderen nachgedacht haben. 

Hör hier übrigens gerne mal in den Casa-Casi-Podcast zur Bundestagswahl rein! Michael, Fabi und ich sprachen darüber, welche Möglichkeiten es gibt, zur richtigen Wahlentscheidung zu finden!

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Tempolimit auf Autobahnen – Ja oder Nein? Unser komplettes Chat-Duell

Casi: Hey, Jan! Sag mal, so kurz vor der Wahl:  Ich könnte mir vorstellen, dass Du auch nicht hundertprozentig happy mit der Themensetzung im Bundestagswahlkampf bist. Mir ist aufgefallen, dass zum Beispiel so gut wie gar nicht über die Umwelt und den Klimawandel geredet wird. Nicht einmal so profane Dinge wie ein Tempolimit auf deutschen Straßen werden angesprochen.

Ich hab das Gefühl, dass wir beide unterschiedlich über so ein Tempolimit denken. Magst Du mir mal mitteilen, wie Du darüber denkst und mir ein gutes Argument für Deinen Standpunkt liefern?

Jan: Ja, da wagen wir uns doch gleich an DAS Symbol aller selbsternannten Umwelt- oder Freiheitskämpfer heran. 💁‍♂️

Bevor wir sachlich in diese Diskussion einsteigen, ein paar Gedanken vorweg. Ich finde es wunderbar, dass wir in einer freiheitlichen Gesellschaft leben. Eine solche Gesellschaft lebt in der Überzeugung, dass grundsätzlich jedes Verbot erstmal abzulehnen ist – es sei denn, es gibt gute Gründe dafür. Und natürlich gibt es an vielen Stellen gute Gründe für Verbote – denn ohne solche Regeln wäre ein friedliches, soziales Zusammenleben gar nicht möglich. 

Es ist richtig, dass es zum Beispiel verboten ist, Gewalt gegenüber anderen anzuwenden. Es ist richtig, dass man sich nicht einfach nehmen darf, was einem gefällt. Und natürlich ist es auch richtig, dass man sich an Verkehrsregeln zu halten hat und auch im Straßenverkehr nicht das Recht des Stärkeren gilt. 

Aber: Die Grundeinstellung muss in einer freiheitlichen Gesellschaft immer der Idee folgen, dass man nicht begründen muss, weshalb man gegen ein Verbot ist, sondern nur weshalb man dafür ist. Natürlich kann man dann darüber diskutieren, ob die Gründe dafür ausreichend und stark genug sind – und selbstverständlich kann man darüber auch unterschiedlicher Meinung sein. 

Wenn Du die Frage also ernsthaft diskutieren will, muss die Überlegung sein: Reichen die vorgebrachten Argumente, um einem Verbot zuzustimmen, oder nicht? So auch bei der Frage des allgemeinen Tempolimits auf deutschen Autobahnen.

Und schaut man mal ohne Messer zwischen den Zähnen sachlich auf das Thema, gibt es im Wesentlichen drei Argumentationslinien: Sicherheit, Verkehrssteuerung und Umweltschutz. 

Alle drei Themen wären an sich erstmal grundsätzlich geeignet, ein allgemeines Tempolimit zu rechtfertigen. Selbiges müsste halt einen echten Effekt haben – und das geben alle Zahlen, die wir kennen, nicht her. Deswegen bin ich dagegen.

Casi: Ah okay, wir diskutieren also zunächst einmal allgemein über Freiheit und über (Un)sinn von Verboten. Ehrlich gesagt war ich fast sicher, dass in einer Diskussion übers Tempolimit das Argument “Freiheit” kommen würde. Hätte ich wetten müssen, wie Du in unsere kleine Diskussion einsteigst – ich hätte auch tatsächlich auf Freiheit oder Tradition getippt 😉

Aber danke erst einmal für den “ohne Messer zwischen den Zähnen”-Ansatz. Ich glaub, das geht uns in der Gesellschaft derzeit so ein bisschen verloren, dass wir wirklich mal zuhören, die Argumente des anderen nicht nur hören, sondern ernsthaft in Erwägung ziehen, uns auf diese Argumente auch einzulassen. Warten wir mal ab, wie zivilisiert wir das hier durchziehen, mein Lieber 🙂

Zunächst mal hast Du natürlich recht: Manche Verbote müssen sein, damit wir als Gesellschaft klarkommen. Was ich nicht teile: Dass man nicht begründen muss, wieso man gegen ein Verbot ist. Das sollte doch auch Teil der Gesprächskultur sein, dass man beide Seiten einer Medaille bespricht und begründet. Erkenntnisgewinn winkt ja auf beiden Seiten 😉

Ehrlich gesagt sträube ich mich auch ein wenig dagegen, ein Tempolimit hier direkt eingangs als “Verbot” zu framen. Verbrenner-Verbot, Fleisch-Verbot – das klingt immer sehr drastisch, aber wenn man genauer draufschaut, hält es dem ja nicht stand. Auch in diesem Fall wird einem ja nicht das Fahren verboten. Jeder Autofahrer hat immer noch jede Freiheit, jederzeit auf jeder beliebigen Straße überall hinzufahren, wie es ihm gefällt. Aber vielleicht ordne ich den Begriff “Freiheit” einfach auch etwas anders ein als Du. Ich denke zurück an Zeiten, in denen es keine Anschnallpflicht gab und auch damals mit “Freiheit” argumentiert wurde. Heute würde niemand allen Ernstes abstreiten, dass die Gurtpflicht doch schon irgendwie eine gute Idee war, die seitdem unzählige Menschenleben rettete. 

Damit komme ich auf einen Punkt, den Du angesprochen hast: Sicherheit. Wir können uns dem ja sachlich annähern, allein schon auf physikalischer Basis: Fahre ich 130 km/h, habe ich eine andere Reaktionszeit und einen anderen Bremsweg, als würde ich 210 km/h fahren. Fällt es mir schwerer, rechtzeitig zu reagieren und brauche ich länger, um zu bremsen, erhöht sich die Gefahr und verschlimmern sich die Folgen eines Unfalls. Das wirst Du doch nicht bestreiten können, oder? 

Jan: Casi, mein Lieber, ich wusste doch, dass du die Freiheit in meinem Argument riechen würdest wie ein Trüffelschwein die teuerste Knolle! Aber schön, dass wir uns hier so gesittet duellieren – das ist ja auch eine Form von Freiheit, nicht wahr? Die Freiheit, eine Debatte ohne Twitter-artige Wutausbrüche zu führen. Also, los geht’s.

Erstmal zum Framing: Natürlich ist ein Tempolimit ein Verbot. Du sagst, es verbietet niemandem das Autofahren, nur das schnelle Fahren. Aber genau das ist ja der Punkt: Jemandem zu untersagen, eine bestimmte Geschwindigkeit zu fahren, ist per Definition eine staatliche Einschränkung. Und jede solcher Einschränkungen muss, aus meiner Sicht, eine gute Begründung haben. Da halte ich es mit dem Grundsatz: Wenn es nicht notwendig ist, ein Verbot zu machen, dann ist es notwendig, kein Verbot zu machen.

Zum Vergleich mit der Gurtpflicht: Der ist, sagen wir mal, so treffend wie ein Navi aus den frühen 2000ern – es bringt dich irgendwie ans Ziel, aber über Umwege. Grundsätzlich könnte man – und hat man ja damals auch – argumentieren, dass es die Entscheidung des Einzelnen ist, sich anzuschnallen, weil er ja auch selbst die mögliche Konsequenz dazu trägt. Dennoch treffe ich hier eine andere Abwägung. Ich finde, dass man einerseits den Eingriff in die Freiheit in mit der Frage, was es tatsächlich bringt in Relation setzen muss. Den Anschnallgurt hast Du, nachdem Du ihn angelegt hast, im Grunde wieder vergessen. Er schränkt Dich in nichts weiterem ein. Dafür sprechen dann die statistischen Zahlen in der Wirkung eine so klare Sprache, dass die Anschnallpflicht als staatlicher Eingriff gerechtfertigt ist.

Und damit sind wir bei deinem Sicherheitspunkt: Natürlich dauert ein Bremsvorgang länger, je höher die Geschwindigkeit. Die Frage ist aber, ob das ein allgemeines Tempolimit rechtfertigt. Denn wenn es nur um „schneller gleich gefährlicher” ginge, müssten wir konsequenterweise auch das Fahrradfahren, insbesondere mit den schnellen E-Bikes, verbieten – denn ohne Knautschzone sind Radfahrer deutlich stärker gefährdet als jemand im modernen Auto mit Notbremsassistent.

Fakt ist: Obwohl wir aufgrund unserer Lage mitten in Europa ein Transitland mit überdurchschnittliche hohem Verkehr – besonders bei LKW – sind, sind wir im Vergleich der Länder in Europa bei der Statistik der Verkehrstoten im unteren Mittelfeld. Und wenn man dort in die Tiefe geht, sieht man, dass eine Vielzahl der tragischen Unfälle auf keinen Fall durch ein allgemeines Tempolimit verhindert worden wären. Und: Die deutschen Autobahnen sind trotz fehlendem generellen Tempolimit sicherer als die Landstraßen mit Tempolimit. Wenn du also wirklich Menschenleben retten willst, dann müsstest du dich für Landstraßen-Sicherheit starkmachen – da sterben nämlich fünfmal mehr Menschen als auf Autobahnen. Aber ohne abzulenken: Das Tempolimit an sich scheint also gar nicht der entscheidende Faktor zu sein. Und schließlich: Rein statistisch ist es wahrscheinlicher auf einem Teilstück mit Tempolimit tödlich zu verunglücken, als auf einem Teilstück mit freier Fahrt.

Und noch etwas: Deine Argumentation mit der Physik ist charmant, aber sie lässt die Realität außer Acht. Denn was zeigt uns die neue Studie, die ich hier mal reinwerfe? Die meisten fahren ohnehin schon langsamer – nicht aus Angst vor der Physik, sondern weil es einfach keinen Sinn macht, dauerhaft 200 zu brettern. Ein staatlicher Eingriff bringt also kaum zusätzliche Effekte, außer dass er symbolisch ist. Und Politik sollte doch nicht auf Symbolen, sondern auf echten Lösungen basieren, oder?

Ergänzend eine wichtige Klarstellung, damit hier kein Missverständnis aufkommt: Ich rede explizit über ein allgemeines, pauschales Tempolimit auf der Autobahn – also egal wann, wo oder unter welchen Umständen. Ich rede NICHT über punktuelle oder temporäre Geschwindigkeitsbeschränkungen.

• Natürlich ist es sinnvoll, bei gefährlichen Kurven oder Baustellen langsamer zu fahren.

• Natürlich braucht es Tempolimits bei schlechten Wetterbedingungen oder in bestimmten Risikobereichen.

• Natürlich ist eine flexible Verkehrssteuerung, die in Stoßzeiten niedrigere Geschwindigkeiten vorgibt, absolut vernünftig.

Aber das ist eben genau der Punkt: Ein generelles Tempolimit nimmt keinerlei Rücksicht auf die tatsächlichen Gegebenheiten. Es gilt dann eben auch dort, wo es keinerlei sicherheitsrelevante Gründe gibt, die eine Begrenzung rechtfertigen. Und genau das macht es zu einem Symbolthema – ein pauschaler Eingriff, der politisch einfach umzusetzen ist, aber keine echte Lösung bringt.

Lest hier alles, was Ihr zur Bundestagswahl 2025 wissen müsst

Casi: Du Halunke! 😀Da nimmst Du mir schön den Wind aus den Segeln, weil ich natürlich auf den Nutzen von Tempolimits allgemein hinauswollte und nicht nur bezogen auf Autobahnen. Das hätte mir nämlich in meiner Argumentation deutlich geholfen. So können wir mit Fakten unterfüttern, wie positiv sich das auf Innenstädte auswirkt, wenn man das Tempo auf 30 km/h beschränkt. Nimm Bologna als Beispiel, die vor einem Jahr Tempo 30 in der Innenstadt eingeführt haben. Ein Jahr später vermeldet man einen Rückgang von 49 Prozent bei den Verkehrstoten und erstmals seit 1991 wurde kein Fußgänger im Verkehr getötet. Gleichzeitig schiebt man die Verkehrswende in der italienischen Stadt an mit 31 Prozent Zuwachs bei der S-Bahn-Nutzung, zehn Prozent mehr Fahrradverkehr und 11.000 Autos weniger. 

Ja, ich weiß, Du willst nur über Autobahnen reden. Aber ich wollte es zumindest angesprochen haben, weil es sehr anschaulich belegt, dass eine solche politische Entscheidung ganz sicher nicht als Symbolpolitik abgekanzelt werden kann. Außerdem ist es schwierig, aktuelle Fakten heranzuziehen wenn man über den deutschen Tellerrand blickt. Während wir nämlich in Innenstädten weltweit beobachten können, welchen Impact ein Tempolimit haben kann, fehlen uns international die Vergleichsmöglichkeiten. Wieso? Weil es außer Deutschland lediglich eine Handvoll Staaten gibt, die auf ein Tempolimit verzichten. Das sind Länder wie Haiti, Burundi, Somalia oder Myanmar. Schau Dir die Infrastruktur dort an und Du wirst sehen, dass man sich dort schon mit dem Hammer gekämmt haben müsste, würde man dort freiwillig mehr als 90 km/h fahren wollen.

Damit kommen wir zu einem weiteren Punkt, bei dem ich bei Deiner Argumentation meine Probleme habe: Es gibt sie nicht, die perfekte Vergleichbarkeit. Wir können nicht sagen, dass ein Tempolimit Quatsch ist, weil es Länder mit Tempolimit und trotzdem mehr Verkehrstoten gibt. Infrastruktur, Qualität/Zustand der Straßen, Verkehrsaufkommen, Fahrverhalten, gibt es mehr jüngere oder ältere Fahrer auf den Straßen usw. – es gibt ein Füllhorn an Parametern, die darüber entscheiden, was Einfluss auf die Sicherheit hat. 

Deswegen kam ich ja vorhin mit der guten, alten Physik um die Ecke: Fahre ich 130 km/h, brauche ich etwa 200 Meter, bis die Karre steht, bei 160 sind es 100 Meter mehr. Würde ich als Person verletzt auf der Straße liegen, würde es mich also schon interessieren, ob der heranrauschende PKW 50 Meter vor mir oder 50 Meter hinter mir zum Stehen kommt. 

Deinem “schneller gleich gefährlicher”-Spin mit den Fahrrädern kann ich übrigens nicht ganz folgen. Da wir ja nur über Autobahnen reden wollen, dürften Fahrräder in der Debatte ja eh keine Rolle spielen, richtig? Außerdem können wir nicht einfach so E-Bikes verbieten, weil wir doch für Freiheit und so sind und gegen Verbote, stimmt’s? 😉 Aber im Ernst: Mehr als die Hälfte der Radfahrer, die im Verkehr ums Leben kommen, tun das mit freundlicher Unterstützung von Autos, daher sollten wir vielleicht lieber nicht solche Nebenkriegsschauplätze aufmachen, die uns beim eigentlichen Thema nicht weiterhelfen. Falls doch: Wir können uns natürlich dann auch gerne darüber unterhalten, ob E-Scooter und E-Bikes ebenfalls ein Tempolimit erhalten sollten – sobald sie auf unseren Autobahnen zugelassen sind 😉Innerorts haben diese motorisierten Zweiräder ja eh Tempobeschränkungen. 

Aber, um auch mal einen Schritt auf Dich zuzugehen. Du sagtest, dass Du explizit auch nicht über “punktuelle oder temporäre Geschwindigkeitsbeschränkungen” redest. Vielleicht sollten wir das aber tun. Denn es gibt meiner Meinung nach mehrere Arten, auf die ein Tempolimit wirken kann:

  • es wirkt, weil wir weniger Energie verbrauchen (siehe beim Tempolimit in den Siebzigern angesichts der Ölkrise)
  • es wirkt, weil die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer erhöht wird.
  • es wirkt, weil wir die Straßenbeläge nicht so schnell runterrocken und Brücken nicht so ramponiert werden

Deswegen könnte ich mir vorstellen, dass temporäre Geschwindigkeitsbeschränkungen durchaus Sinn ergeben könnten. Wenn Du beispielsweise nachts von einem Termin nach Hause bretterst und 300 Kilometer Strecke zurücklegen musst, hast Du im Normalfall freie Fahrt. Wenn Du die mit 200 km/h zurücklegst, ist das für den Straßenbelag vermutlich nicht förderlich. Aber die Sicherheitslage ist vermutlich trotzdem entspannter als auf einer relativ vollen Autobahn am Tag und ich könnte mir vorstellen, dass auch der Energieverbrauch nicht wirklich dramatisch schlimmer ist, als würdest Du irgendwo tagsüber im Stop and Go festhängen.

Long Story short: Ich könnte mich damit arrangieren, wenn wir einfach LED-Schilder aufstellen, die uns am Tag 130 km/h vorschreiben. Dieses Tempolimit könnte aber meinetwegen dann ab 23 Uhr aufgehoben werden. Oder, anderer Ansatz: Wir könnten den Verkehr auch vom Aufkommen abhängig machen und durch entsprechende variable Limits steuern. Wäre das vielleicht was, wo Du mitgehen würdest? Schließlich sagtest Du ja oben selbst, dass bestimmte Situationen (Verkehrsaufkommen, Wetter, Unfalllage, etc.) Tempolimits rechtfertigen. Ich komme argumentativ halt von der anderen Seite: Während Du denkst: “Immer freie Fahrt, außer …”, denke ich eher “pauschal Tempo 130, außer …”. Bin jedenfalls auf Deine Gedanken dazu gespannt.

Jan: Du Ehrenmann des gepflegten Tempolimit-Plädoyers! 😆 Jetzt versuchst du, mich mit einem Rundumschlag aus Bologna, Brückenschäden und energiepolitischen Rückblicken auf die 70er zu überfahren – Respekt! Aber ich schnalle mich lieber an und steige in die Diskussion ein.

Erstmal: Ich erkenne an, dass innerorts ein Tempolimit sehr wohl Sinn ergeben kann – gerade in dicht besiedelten Städten, wo Fußgänger, Radfahrer und Autos sich den Raum teilen. Auch hier gilt: Da, wo es sinnvoll ist!

Wenn Bologna mit Tempo 30 die Unfallzahlen drastisch gesenkt hat, dann freut mich das. Aber wie du selbst sagst: Wir reden hier über Autobahnen. Dort gibt es keine Fußgänger, keine spielenden Kinder, keine Ampeln, keine plötzlich aufspringenden Dönerladen-Besucher, die noch schnell rüberwollen. Die Bedingungen sind also fundamental anders – und deswegen darf es dort auch eine andere Betrachtung geben.

Jetzt zu deinem internationalen Vergleich. Ich weiß ja, dass du mich mit Haiti und Somalia in eine Art „Moralische-Überlegenheits-Falle” locken willst, aber ich bleibe da cool. 😎 Ja, wir sind eines der wenigen Länder ohne generelles Tempolimit. Und? Wir sind auch eines der wenigen Länder mit einer funktionierenden dualen Berufsausbildung – ist das jetzt schlecht? Die Frage ist doch: Führt das Fehlen eines Tempolimits wirklich zu schlechterer Sicherheit? Die Antwort ist weiterhin nein. Im übrigen: Andere Länder haben in den 50er, 60er oder 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Tempolimit auf Autobahnen eingeführt, weil die Straßeninfrastruktur mit der steigenden Motorisierung nicht Schritt halten konnte. Heute überlegen selbst Länder in Europa – zum Beispiel Italien – das Tempolimit auf Autobahnen wieder aufzuweichen. Also, wenn wir woanders hinschauen, dann müssen wir den dortigen Kontext berücksichtigen.

Und dann deine Physik-Argumentation: Natürlich ist ein längerer Bremsweg bei höherer Geschwindigkeit Fakt. Aber weißt du, was noch ein Fakt ist? Dass die größte Unfallgefahr auf der Autobahn nicht durch Raser entsteht, sondern durch LKW-Auffahrunfälle, Sekundenschlaf und Unachtsamkeit. Wenn du mich fragst, was auf Autobahnen wirklich helfen würde, dann ist das eher eine Null-Toleranz-Politik bei Handynutzung am Steuer und ein verpflichtendes Fahrerassistenzsystem für LKWs, das automatisch abbremst. Wenn Du dir die Statistiken der Unfälle mit Todesfolge auf Autobahnen anschaust, dann wird dort auch die Unfallursache erfasst, zum Beispiel “überhöhte Geschwindigkeit”. Was man allerdings dazu wissen muss: Darunter fallen auch die LKW, die mit überhöhter Geschwindigkeit in Stauende rasen. Das lösen wir aber keinesfalls mit einem allgemeinen Tempolimit.

Aber jetzt zum spannendsten Teil: Dein Vorschlag mit den variablen Tempolimits.

Hier bin ich ganz bei dir: Ja, flexible Tempolimits, die auf Verkehrslage, Wetter und Tageszeit reagieren, sind eine sinnvolle Lösung, die ich absolut unterstütze.

• In Stoßzeiten macht es Sinn, den Verkehrsfluss mit intelligenten Systemen zu regulieren.

• Bei starkem Regen oder Nebel braucht es automatisch niedrigere Limits.

• Und nachts, wenn die Straßen leer sind, warum dann nicht freie Fahrt für alle, die sicher unterwegs sind?

Und damit zeigt sich doch genau der Knackpunkt: Smarte Verkehrssteuerung ist der bessere Weg als ein starres, pauschales Tempolimit. Ein generelles Verbot nimmt keinerlei Rücksicht auf die tatsächlichen Bedingungen, während flexible Systeme genau das tun. Also ja, wenn dein LED-Schilder-Vorschlag darauf hinausläuft, dass wir situationsabhängig optimieren, dann sind wir uns hier ausnahmsweise mal einig.

Denn: Die “Kapazität” einer Autobahn ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Wer in der Fahrschule aufgepasst hat, weiß, dass man bei höherer Geschwindigkeit auch mehr Abstand halten muss. Geschwindigkeit ist damit einer der Faktoren, um Verkehrsströme zu lenken, wenn es “voll” auf der Straße wird. Aber auch andere Faktoren wie Regen, Glätte, Nebel, Pannen, Baustellen, Grünpflege,… haben punktuell und zeitlich limitiert direkten Einfluss darauf, wie der Verkehr fliessen kann. Intelligente, variable Tempolimits wären eine kluge Antwort auf die Herausforderungen im Verkehr. Und noch ein Punkt: Man weiß, dass die Akzeptanz der Autofahrer bei einem befristeten Tempolimit, idealerweise mit “Begründung”, für sehr viel mehr Akzeptanz sorgt.

Merkste?

Du kommst von „Immer 130, außer …”

Ich komme von „Freie Fahrt, außer …”

Am Ende landen wir beide beim gleichen Gedanken: Eine starre Lösung wird der Realität nicht gerecht. Und genau das ist mein Punkt gegen ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen.

So, mein Freund, was hast du noch im Tank? 😏🚀

Ach, noch ein kleiner Gedanke im Nachgang: Das Thema Physik, Geschwindigkeit und Sicherheit unterschlägt etwas, dass wir längst in unseren Verkehrsregeln haben, nämlich den vorgeschriebenen Abstand. Natürlich bedeutet “Kein Tempolimit” nicht, dass ich für unkontrolliertes Rasen bin. Wer schnell fahren möchte, muss sich natürlich an die Verkehrsregeln, sprich den gebotenen Abstand, halten. Auch hier bin ich dafür, dass wir erstmal die vorhandenen Regeln durchsetzen, ehe wir uns mit einer weiteren Krücke behelfen.

Casi: Die geltenden Verkehrsregeln sind tatsächlich ein wichtiger Punkt, aber helfen uns leider im Alltag nicht viel, wenn man sich die Realität ansieht. Weil dann eben doch Leute besoffen Unfälle bauen, doch unangeschnallt durch die Frontscheibe pfeffern, ihr Handy mehr im Blick haben als die Straße und eben auch Abstände nicht einhalten. Aber da ich ja meinen Physik-Punkt in dieser Diskussion echt lieb gewonnen habe, muss ich noch einmal auf einen anderen Punkt eingehen: Du sprachst auch Sekundenschlaf an, Auffahrunfälle und Unachtsamkeit: Ob der Typ vor mir einpennt, steuere ich nicht, egal, ob ich 30, 130 oder 230 fahre. Aber wenn diese Dinge direkt vor mir passieren, reagiere ich doch halt trotzdem unterschiedlich schnell je nach meiner gefahrenen Geschwindigkeit. Bei diesem Punkt bleibe ich also hartnäckig. 

Ich hab kurz überlegt, ob ich auf den Punkt mit den anderen Ländern eingehen soll, die längst ein Tempolimit haben und überlegen, es möglicherweise zurückdrehen wollen. Italien will es ja auch nicht aufheben, sondern überlegt, es von 130 auf 150 anf ausgewählten Autobahnen anzuheben, wenn ich richtig informiert bin. Allerdings sträube ich mich ein bisschen dagegen, so einen Alleingang als valides Argument gelten zu lassen in Zeiten, in denen Länder wie die USA aus der WHO austreten, mit Putin kuscheln und Fox-Moderatoren das Verteidigungsministerium überlässt. Je autoritärer und rechts-konservativer eine Nation derzeit ist, desto skuriller sind auch die Entscheidungen, die man dort trifft. Ich finde schon, dass man die Situation in Italien durchaus beobachten kann, aber wir wollen nicht vergessen, dass unter Meloni mittlerweile Matteo Salvini Verkehrs- und Infrastrukturminister ist. Von was für einem Schlag dieser Kerl ist, diskutieren wir aber vielleichtl ieber mal an anderer Stelle.

Zurück zum Thema: Du fragtest mich, ob ich jetzt noch was im Tank hätte (… und ja, ich durchschau Dein perfides, aber auch cleveres Spiel mit der klassischen Verbrenner-Nomenklatur, mein Bester 🙂). Ja, ich hätte tatsächlich noch ein Argument, das ich in die Waagschale werfen möchte: Kohle! 😀Machen wir uns nichts vor, im Endeffekt geht es doch immer ums liebe Geld, oder? Deswegen verweise ich auf eine Studie aus dem Jahr 2023.

Selbst, wenn uns die Umwelt an sich ebenso egal wäre wie die erhöhte Sicherheit und Faktoren wie Lärmschutz, so macht ein Tempolimit dieser Studie zufolge auch ökonomisch Sinn. Woher kommen die Einsparungen in Millionenhöhe? Sie ergeben sich daraus, dass wir bei de Infrastruktur sparen, in den Lieferketten kosten gesenkt werden, wir weniger Unfälle bauen und vor allem weniger Energie verbraucht wird. Die Studie ermittelt für ein Tempolimit von 130 auf deutschen Autobahnen einen Wohlfahrtsgewinn von wenigstens 950 Millionen Euro pro Jahr. 

Was kostet den Staat nochmal das Deutschland-Ticket? Ich glaube, die drei Milliarden Euro teilen sich der Bund und die Länder, richtig? Würde bedeuten, dass der Bund 1,5 Milliarden Euro fürs Deutschland-Ticket raushaut. Wäre schon ein bisschen cool, wenn man davon zwei Drittel allein durchs Tempolimit wegknuspern könnte, oder? 

Jan: Casi, du Fuchs! Jetzt versuchst du mir mit schnödem Mammon den Schneid abzukaufen. Sehr clever! 💰Aber bevor wir über Millionen reden, bleibe ich noch kurz bei deiner geliebten Physik.

Natürlich reagiere ich unterschiedlich schnell, je nachdem, ob ich mit 130 oder 230 fahre – keine Widerrede. Aber wenn du das Argument auf diese Weise aufbaust, dann müsstest du konsequenterweise auch Tempo 100, 80 oder gleich 50 auf der Autobahn fordern. Denn je niedriger die Geschwindigkeit, desto kürzer der Bremsweg – das ist nun mal die Physik, die du so liebst. Die Frage ist also nicht, ob langsamer sicherer ist (natürlich ist es das), sondern ob eine pauschale Limitierung auf 130 das richtige Maß ist oder ob es nicht bessere Wege gibt, Sicherheit zu erhöhen, ohne pauschal alle auszubremsen.

Und dazu gehört eben:

• Schärfere Kontrollen von Handy am Steuer – denn Unachtsamkeit ist der wahre Killer auf Autobahnen.

• Verpflichtende Fahrerassistenzsysteme für LKWs, um Stau-Ende-Auffahrunfälle zu reduzieren.

• Bessere Verkehrssteuerung durch smarte Tempolimits (die wir ja bereits als gemeinsamen Nenner gefunden haben).

Also: Ich bin voll bei dir, wenn es um mehr Sicherheit geht – aber ich kaufe nicht das Argument, dass 130 km/h die goldene Grenze ist, ab der die Autobahn plötzlich ein Paradies wird. Zumal ja gerade heruasgefunden wurde, dass ohnehin schon viele Menschen 130 km/h fahren. Würden wir das konsequent durchziehen, könnte man genauso gut ein Limit von 70 oder weniger fordern. Und das will ja selbst kaum ein Befürworter.

Aber jetzt zum lieben Geld. 💰950 Millionen Wohlfahrtsgewinn klingt erstmal knackig, aber lass uns mal in die Details gehen. Bei diesen Studien, deren wissenschaftliche Vorgehensweise ich gar nicht bezweifeln will, gibt es immer einen Teil, der besonders spannend ist, nämlich welche Annahmen getroffen wurden. Unter Annahmen schreibt man alles, was man nicht tatsächlich beweisen kann, was aber, mal mehr, mal weniger gut begründet, in die dann wissenschaftlich korrekte Rechnung einfliesst.

Die Studie aus 2023 geht davon aus, dass durch ein Tempolimit:

  1. Signifikant weniger Unfälle entstehen – das bezweifele ich aus oben genannten Gründen und hatten wir ja schon besprochen, nämlich, dass die Ursache nicht primär „Rasen” ist.
  2. Weniger Infrastrukturkosten anfallen – was primär daran liegt, dass Brücken und Straßen bei höheren Geschwindigkeiten stärker belastet werden. Klingt logisch, aber wir sollten dabei nicht vergessen: Die größten Schäden an Brücken kommen nicht von PKWs, sondern von LKWs mit zig Tonnen Gewicht. Ein 40-Tonnen-LKW belastet die Straße etwa 60.000- bis 100.000-mal stärker als ein durchschnittlicher PKW mit zwei Achsen und einem Gewicht von 1-1,5 Tonnen. Selbst ein 30-Tonnen-LKW (drei Achsen) verursacht eine etwa 50.000-fache Belastung im Vergleich zu einem PKW. Und selbst kleinere LKWs, wie ein 12-Tonner mit zwei Achsen, belasten die Straße etwa 4.000-mal stärker als ein PKW.
  3. Energieverbrauch sinkt – fair enough, ABER: Hier kommt der Rebound-Effekt zum Tragen, der in der ganzen Debatte fast nie berücksichtigt wird – dabei macht er den Unterschied zwischen einer fundierten und einer unseriösen Diskussion aus.

Kurz erklärt: Wenn etwas effizienter wird oder sparsamer ist, dann wird es häufig einfach mehr genutzt. Effizienzgewinne werden durch Konsumänderung aufgebraucht. Beispiel: Ein 50-PS-Motor von heute verbraucht erheblich weniger, als ein 50-PS-Motor vor 30 Jahren. Die gewonne Effizienz nutzen wir aber nicht als Gewinn, sondern kaufen einfach Autos mit mehr PS. Das hebt einen wesentlichen Teil der Ersparnis wieder auf. Auch das Tempolimit setzt ja auf einen Effizienzgewinn – die selbe Strecke wird bei geringerer Geschwindigkeit mit weniger Kraftstoff bewältigt. Auch das ist Physik und diesen Effizienzgewinn bestreitet niemand, wird aber von Rebound-Effekten wieder aufgezehrt. Der Rebound-Effekt lässt sich nur eingeschränkt vorhersagen, da er von einer Vielzahl komplexer und oft schwer messbarer Faktoren abhängt. Dazu gehören technologische, wirtschaftliche, psychologische und soziokulturelle Aspekte.

Ich kann nur vermuten, wie sich das bei einem Tempolimit auswirkt:

  • Sollte es tatsächlich zu spürbar weniger Kraftstoffverbrauch durch ein Tempolimit kommen, würde also die Nachfrage nach Kraftstoff sinken. Wahrscheinlich würde das zu einer Preissenkung an der Tankstelle führen, was wiederum zu einer vermehrten Nutzung des PKW führen würde.
  • Menschen, die tatsächlich Sprit einsparen und damit etwas für ihr Gewissen tun, neigen dazu, sich dafür an anderer Stelle etwas zu gönnen. Nach dem Motto: “Ich hab ja jetzt viel Sprit gespart, dann kann ich auch in den Urlaub fliegen”
  • Das Umweltbundesamt hat mal die Annahme getroffen, dass die Menschen aufgrund des Tempolimits vermehrt auf die Landstrasse zurückgreifen würden. Dort sind die Kapazitäten aber geringer, das heißt also, man steht dort mehr im Stau, was grundsätzlich nicht effizient ist.

Heißt: Die Rechnung mit den Einsparungen mag auf dem Papier toll aussehen – in der Realität ist der Effekt am Ende oft viel kleiner, wenn nicht sogar verpufft. Deshalb ist jede Debatte über Energieeinsparung ohne den Rebound-Effekt nicht ernstzunehmen.

Und jetzt mal Hand aufs Herz, Casi:

Wenn wir ernsthaft Geld sparen und unsere Mobilitätskosten senken wollen, gibt es doch viel smartere Stellschrauben als ein pauschales Tempolimit.

• Flottenmodernisierung: Ein E-Auto, das regenerativ geladen wird, verbraucht auch bei 150 km/h null fossile Energie.

• Bessere Infrastrukturplanung: Weniger Staus bringen viel mehr Einsparung als eine starre Geschwindigkeitsbegrenzung.

• Steuersystem anpassen: Warum nicht Anreize schaffen, dass effizientere Autos gefördert werden, anstatt pauschal alle einzuschränken?

Und dein Deutschland-Ticket-Vergleich:

Puh, der hinkt aber an allen Ecken und Enden, weil: Die 1,5 Milliarden für das Deutschland-Ticket muss der Bund in echtem Geld bezahlen. Also in Euro echt an die Verkehrsverbünde usw. überweisen. Wohlfahrtsgewinne sind ja erstmal nur eine sehr ungefähre Annahme, die in einem unbestimmten Zeitraum an verschiedensten Stellen auftauchen und in dieser Zahl addiert wurden. 😏

So, mein Freund, ich überlasse dir wieder die Spur – oder bist du schon auf die Bremse getreten? 🚀

Casi: Spur überlassen, auf die Bremse treten, dies das – ich seh schon, wir bleiben beim Auto-affinen Wording 🙂Dann bleibe ich da auch bei und sage, dass wir hier jetzt langsam mal ein bisschen vom Gas gehen müssen. Denn wir streiten hier jetzt schon seit 4.000 Wörtern ums bessere Argument – das kann ja kein Mensch mehr alles lesen. 😀 Aber ein paar Antworten muss ich Dir abschließend natürlich dennoch liefern, aber ich fasse mich kurz, versprochen! 

Die 130 ist nicht in Stein gemeißelt, aber augenscheinlich ist das schon ein Sweet Spot, der da international ermittelt wurde. Zumindest hat sich die Mehrheit aller Nationen auf einen Bereich zwischen 120 und 130 eingependelt und auch hierzulande ist 130 ja zumindest auch die Richtgeschwindigkeit. Wenn wir jetzt so anfangen zu argumentieren, dass man mit 20 km/h ja dann noch weniger Unfälle baut, können wir ja auch erklären, dass wir einfach mal 0 km/h fahren und die Karre in der Garage lassen – garantiert unfallfrei! 😂 Aber auf das Niveau wollen wir ja nicht abrutschen.

Beim Punkt Unfallursache kommen wir wohl nicht zusammen und auch beim Rebound-Effekt zweifle ich etwas, aber dazu gleich mehr. Aber Dein Infrastruktur-Argument lass ich gelten. Klar, PKW verursachen auch massive Kosten. Aber Du hast recht: der Güterverkehr fällt da im wahrsten Sinne des Wortes ganz anders ins Gewicht. 

Zum Rebound-Effekt noch kurz: Hmm, das sind so Allgemeinplätze, die beim einen Beispiel greifen, beim anderen nicht. Wenn ich zwei Stück Käse-Sahne-Torte futtere, hab ich etwa 700 kcal drin. Wenn die Kameraden von Coppenrath & Wiese jetzt ‘ne ähnlich leckere Diät-Torte mit nur einem Drittel der Kalorienwerte herausbringen, hau ich mir ja nicht plötzlich sechs Stück Torte rein. Okay, mach ich vielleicht doch, das Beispiel ist bescheuert. Aber Deiner Argumentation möchte ich auch nicht folgen. Denn ich sehe es nicht, dass mich ein günstigerer Spritpreis denken lässt: “Cool, wenn das so günstig ist, fahre ich nach der Arbeit erst nach Hause – und dann einfach direkt nochmal zur Arbeit und wieder nach Hause und dann kreise ich dreimal um meinen Block”.

Lass mich abschließend noch anmerken, dass wir diese Probleme eh immer globaler denken sollten. Soll heißen, dass ein Tempolimit allein nicht den Klimawandel aufhält, nicht allein Unfalltote verhindert und auch nicht allein jeden Stau verhindert. Und ein Tempolimit würde nicht bedeuten, dass wir uns nicht auch gründlich andere Stellschrauben anschauen. Du hast ja selbst Stellschrauben genannt, wie eine bessere Infrastruktur-Planung und ein angepasstes Steuersystem. Und da bin ich doch voll dabei – weg mit dem Dienstwagenprivileg beispielsweise, Subventionen streichen beim Fliegen, usw.

Ich denke, dass das Tempolimit eine low hanging Fruit ist. Hier können wir ansetzen, ohne dass wirklich viel dafür getan werden muss. Es gibt jede Menge andere Instrumente, an die wir auch ran müssen, aber so ist das bei Themen wie dem Klimawandel: Es gibt nicht nur die eine Stellschraube, sondern einen ganzen Berg davon. Wir müssen so oder so viel mehr tun – aber beim Tempolimit könnten wir anfangen und gleichzeitig eben für mehr Sicherheit sorgen. 

Aber hey, ich sehe Deine Punkte, kann sie in Teilen auch nachvollziehen und wie gesagt: Wenn wir zwei uns darauf verständigen können, dass wir LED-Verkehrsschilder aufstellen, die variable Tempolimits bzw. “ab 23 Uhr gern volle Pulle”-Fenster ermöglichen, dann ist das hiermit beschlossene Sache und muss von der nächsten Bundesregierung umgesetzt werden! 😀

Danke, dass Du diesen Spaß mit mir mitgemacht hast, und wirklich fair und anständig mit mir diskutiert hast. Ich würde mir wünschen, dass derlei Debatten generell so gesittet ablaufen könnten. Und das ist die Steilvorlage für jeden, der sich durch diesen wirklich langen Text geackert hat und nun kommentieren will. Diskutiere das Thema also gerne weiter oder teil uns deinen Standpunkt mit – aber möglichst so gesittet wie Jan und ich!

Bildquellen

  • bundestag-2025: Werner Schüring
  • fdp-vision-deutschland-2035-dall-e-2000×1500: inside digital / KI-generiert von Dall-E
  • Wie geht die politische Entwicklung beim E-Auto weiter?: JC_STOCKER / ShutterStock.com
  • bsw-vision-deutschland-2035-dall-e-2000×1500: inside digital / KI-generiert von Dall-E
  • Stromzähler: Shutterstock / Jochen Netzker
  • die-linke-vision-deutschland-2035-dall-e-2000×1500: inside digital / KI-generiert von Dall-E
  • Breitbandausbau nach der Bundestagswahl: Deutsche Telekom
  • gruenen-vision-deutschland-2035-dall-e-1600×1200: inside digital / KI-generiert von Dall-E
  • casa-casi-cover-inside-digital: Stefan Winopal / inside digital
  • afd-vision-deutschland-2035-dall-e-1600×1200: inside digital / KI-generiert von Dall-E
  • Tempolimit: DarwelShots / Shutterstock.com

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